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Gesetzen ergangen seien — und zwar dies im Sinne der Her-
stellung wirklich unabhängiger, nur dem Gesetze unterworfener
Gerichte und Richter, nicht nur einzelner Amtshandlungen ohne
Einfluss. Die Gerichte sollten durch keine Aufsichtsstelle ver-
hindert werden, ihre Rechtsansicht zu Grunde zu legen, weder
durch eine Warnung vor der Rechtsansicht, noch durch einen
Tadel, sondern allein durch das Gesetz.
Wenn also die, nicht nach einem Aufsichtsgesetz ausgeübte,
Aufsicht auch nicht unmittelbar auf die Rechtsuchenden von Ein-
fluss war, so konnte sie es doch mittelbar werden, wenn der
Richter den Aufsichtsbefugnissen bezw. dem Ermessen der Auf-
sichtsstellen verfiel bezw. sich fürchtete, ihnen zu verfallen.
Die Appellationsgerichte namentlich gaben in ihren Entschei-
dungen auf Beschwerden und Appellationen ihrer Doppelstellung
als Aufsichtsbehörde und Rechtsmittelgericht so ausreichenden
Ausdruck, dass noch viel später, nachdem sie selbst schon der
Geschichte der Justizreorganisationen anheimgefallen, bei den
Rechtsuchenden vielfach die Ansicht zu Tage trat, eine ihnen
günstige Entscheidung der weiteren Instanz — namentlich bei
Beschwerden — sei eine Berichtigung der Rechnungen des un-
getreuen Haushalters; gerade in dieser Doppelstellung, in der
Entscheidungsbefugniss durch das Gesetz, in der Aufsichtsbefug-
niss durch das eigene Ermessen gebunden, lag eine völlige
Aenderung des Rechtsmittelbegriffs, zum Nachtheil der Wirksam-
keit der unteren Instanz, also der wichtigsten Gerichte, weil fast
ausschliesslich unmittelbar im Verkehr mit den Rechtsuchenden
selbst, und zum Nachtheil des Ansehens dieser Gerichte, immer
weiterer Entwicklung anheimgegeben.
Erwägt man dabei, dass das Recht der Aufsicht, durch
Rügen, Tadel, Missbilligung, Revisionen, Vorhaltungen, Inspek-
tionen gänzlich dem Ermessen der Aufsichtstelle unterlag, dass
also eine freie Entwicklung eigener Rechtsprechung, des Ver-
trauens auf den Wert der eigenen Rechtsüberzeugung nur sehr
langsam vor sich gehen konnte, so fällt die Berechtigung des
Tadels seitens der Rechtsuchenden über die Aengstlichkeit, die
Förmlichkeit der Gerichte jener Zeit in sich zusammen.