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zur Ueberwachung der Ausführung der Reichsgesetze erlassenen
erforderlichen Anordnungen und Verfügungen, sowie die, vom
Bundesrath, vom Kaiser, vom Reichskanzler oder einer anderen
Reichsbehörde oder einem Einzelstaat auf Grund besonderer ge-
setzlicher Ermächtigung erlassenen, Rechtsverordnungen (LABAND,
Bd. IS. 600ff.) sind staatsrechtlich den Verordnungen aus Art. 63
Preuss. Verf. nicht gleich, weil ihnen Gesetzeskraft nicht bei-
gelegt ist; sie binden die Gerichte nur, soweit sie nicht dem Ge-
setze widersprechen.
Angesichts aber des Art. 63 Preuss. Verf. ist es eine viel
umstrittene Frage, ob die Preussischen Gerichte den, ihm gemäss
erlassenen, Verordnungen unterworfen gewesen sind, und ferner
bleibt zu untersuchen, welchen Einfluss auf ihre Beantwortung
der im & 1 R.-G.-V.-G. aufgestellte Grundsatz von der Unab-
hängigkeit der Gerichte von anderer Autorität als der des Ge-
setzes hat.
Ursprünglich war Verordnung (GnEısT, Englische Verfas-
sungsgeschichte S. 22, 377, Hums, Geschichte Englands Bd. 8
Kap. VI) eine Willensäusserung der Staatsleitung, durch welche
Ausnahmen vom Gesetz und vom Gesetz nicht geordnete Dinge
in Gesetzesform bei Strafe anbefohlen wurden; die Staatsleitung
beanspruchte dabei das Recht, ihren Willen mittels der, von ihr
abhängigen, Behörden bezw. der bewaffneten Macht durchzusetzen,
eine Art Diktatur. In der gewohnheitsmässigen Ausübung dieses
Verordnungsrechts lag, Angesichts der Unfähigkeit der ständischen
Vertretungen zur Gesetzgebung und ihrer Ohnmacht zum Wider-
stande gegen die Verordnungen, ein Haupthebel zur Einführung
der absoluten Regierungen in den westeuropäischen Staaten, die
darin bessere Erfolge hatten als die Versuche der Stuarts in
England. Schliesslich war das ganze Gebiet der Gesetzgebung
ihren Verordnungen (Edikten) unterworfen, und die Verfassungen
schienen ibre Macht durch die „Kammern“ nur zu beschränken,
nicht den früher gesetzlichen Zustand mit seinen „Landtagen“
wiederherzustellen, so dass die Verordnungen, welche nach den
Verfassungen, ohne Mitwirkung der verfassungsmässig bei Erlass
von Gesetzen zugeordneten Kräfte, erlassen werden sollten, nicht