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durch das Bedürfniss verlangt, anzuerkennen habe. Hiernach
würde sich das in Art. 95 enthaltene Verbot auf die Gesammt-
heit aller Gesindeordnungen in Deutschland beziehen. Indessen
lässt sich dieser Auffassung nicht beitreten; ein Züchtigungsrecht
hat nur da bestanden, wo die Gesetzgebung dasselbe mittelbar
oder unmittelbar der Dienstherrschaft eingeräumt hat. Auch
mittelbar kann diese abnorme Befugniss gewährt werden, was
von denjenigen übersehen wird, welche mit JASTROW verneinen,
dass in der angeführten Vorschrift der altpreussischen Gesinde-
ordnung ein solches Recht zur Anerkennung gelangt sei. Wenn
der Gesetzgeber ausspricht, dass eine unter gewissen Voraus-
setzungen — Affekt der Dienstherrschaft — verübte Thätlichkeit
nicht als strafbare Handlung gelte und den von ihr Betroffenen
nicht dazu berechtige den Schutz des Staates zur Wahrung
seiner Person anzurufen und die entsprechende Bestrafung des
Thäters in Gemässheit des allgemeinen Gesetzes zu verlangen
so ist hierdurch mittelbar zum Ausdruck gebracht, dass dem
Thäter die Züchtigungsbefugniss zusteht. Der praktischen Wirkung
nach ist die Rechtslage vollständig die gleiche wie dann wenn
der Gesetzgeber unmittelbar ausspricht, dass dem Dienstherrn
ein Recht dieses Inhaltes eingeräumt sei in dem einen wie in
dem anderen Falle kann der Dienstbote, welcher gezüchtigt wird,
diese Handlung nicht der gerichtlichen Beurtheilung unter dem
Gesichtspunkte der Beleidigung oder der leichten Körperverletzung
unterziehen lassen. Ist dies richtig dann wird der in Rede
stehende Artikel der altpreussischen Gesindeordnung mit dem
Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches seine Gültigkeit ver-
lieren; die Dienstherrschaft kann dann nicht mehr auf Straflosig-
keit rechnen wenn sie im Zorne den Dienstboten beleidigt oder
misshandelt soweit und sofern nicht nach den Bestimmungen des
Strafgesetzbuchs ihr Entschuldigungsgründe zur Seite stehen,
welche die Straflosigkeit begründen. Der Zweck des Art. 95
geht dahin jedes Züchtigungsrecht der Dienstherrschaft zu be-