Full text: Archiv für öffentliches Recht.Vierzehnter Band. (14)

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für Bayern in einer solchen vom 8. Juni 1872 (Samml. von Entsch. 
dieses Gerichtshofs Bd. II S. 174ff.) ausgesprochen. Beide 
Entscheidungen betreffen den & 95 R.-St.-G.-B. Dieser (durch 
die Novelle vom 26. Febr. 1876 geänderte) Paragraph bedrohte 
in seiner ursprünglichen Fassung Majestätsbeleidigung mit „Ge- 
fängniss nicht unter zwei Monaten oder mit Festungshaft bis zu 
fünf Jahren“. Beide Entscheidungen stellen übereinstimmend 
fest, es beruhe auf einem Redaktionsversehen, dass in diesem 
Paragraphen ein bestimmtes Strafminimum für die Festungsstrafe 
nicht vorgeschrieben sei und demgemäss der gesetzliche Mindest- 
betrag dieser Strafart von einem Tage Platz greifen könne; es 
sei vielmehr schon mit Rücksicht auf die Höhe der folgenden 
Strafbestimmungen auch im $ 95 ein Mindestmaass von zwei 
Monaten Festungshaft als von dem Gesetzgeber gewollt anzu- 
sehen und demgemäss von dem Richter zu erkennen. Mag man 
auch das Vorhandensein der thatsächlichen Voraussetzung der 
richterlichen Korrektur des Gesetzestextess — die zweifellose 
Feststellung des Redaktionsversehens — für den Fall des $ 95 
St.-G.-B. vielleicht mit Recht in Zweifel ziehen°*, so ist doch 
jedenfalls in beiden Urtheilen die prinzipielle Zulässigkeit der 
richterlichen Korrektur anerkannt. Auch aus den beiden bereits 
citirten Urtheilen desReichs-Oberhandelsgerichts vom 14. Febr. 1872 
(Entsch. Bd. V S. 132, 133) und des Reichsgerichts vom 19. Sept. 
1892 (Beilage zum Deutschen Reichs- und Preussischen Staats- 
Anzeiger 1893 S. 99) ist zu folgern, dass diese beiden Gerichtshöfe 
die richterliche Korrektur gegenüber den in den bezeichneten 
Urtheilen behandelten Redaktionsversehen für zulässig erachten. 
Auf dieser Rechtsanschauung, dass bei der Anwendung des 
Gesetzes der gesetzgeberische Wille maassgebend sein muss und 
der auf ein Redaktionsversehen zurückzuführende Text demgemäss 
richtig zu stellen ist, beruhen nun auch offensichtlich die in den 
” Vgl. hierüber Sontae a. a. O. I. 37fl. 
11*
	        
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