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nachweises zu sprechen, während es sich um den Verzicht auf
Identität überhaupt handelt. Der wirthschaftliche Zweck dieser
Zollbegünstigungen, welcher auf die Bonifizirung des Getreide-,
Mehl- und Oelexports gerichtet ist, darf nicht beirren bei der
verwaltungsrechtlichen Beurtheilung”®. Für das Zollrecht handelt
es sich nicht um Bonifikationen, vielmehr finden die allgemeinen
Grundsätze des Lager- und Veredelungsverkehrs Anwendung, in
deren Formen jene Zollbegünstigungen sich vollziehen ?®.
b) Fortdauer der Zollansprüche unerachtet des freien
Verkehrs.
Mit dem Begriffe des freien Verkehrs wird hiernach das
thatsächliche Verhältniss der Freiheit von Zollkontrolen, nicht
das Rechtsverhältniss der Freiheit von Zollpflicht bezeichnet ?”.
Weder die dingliche Zollpflicht noch die Schuld des Zollpflich-
tigen erledigt sich schlechthin mit dem Uebergange der Waare
in den freien Verkehr. Die unter Hinterziehung der Abgaben
eingeschwärzte Waare befindet sich unbeschadet der Ansprüche
des Fiskus thatsächlich im freien Verkehr. Aber selbst dann,
25 Die Aufstellung des gleichen Grundsatzes für die strafrechtliche
Beurtheilung war Zweck des mehrerwähnten Aufsatzes im Gerichtssaal
Bd. LIV Heft 3.
** Die Frage, ob das aus Oesterreich-Ungarn zur Einfuhr gelangende,
im sog. zollfreien Mahlverkehr hergestellte Mehl (vgl. EGLAUER a. a. O.
S. 285f.) als dem freien Verkehr Oesterreich-Ungarn entstammend anzusehen
und somit auf Grund des Art. 3 des Handelsvertrages (vgl. oben S. 177) zum
vertragsmässigen Zollsatze einzulassen ist, würde unter Anwendung der obigen
Grundsätze zu verneinen sein. Hiermit ist indess die Frage nicht entschieden,
ob die gedachte Waare nicht als Produkt der Industrie Oesterreich-Ungarns
auf Grund der Meistbegünstigungsklausel des Art. 2 des Vertrages Anspruch
auf die vertragsmässige Zollerleichterung hat. — Bei Anwendung des öster-
reichischen Zollrechts dürfte sich mit Bezug auf Art. 3 des Vertrages die
gleiche Entscheidung ergeben; vgl. besonders die österreichischen Gesetze
vom 25. Mai 1882 und vom 21. Mai 1887; EeLaver a. a. O. S. 500ff.
? Vgl. auch $8$ 3, 5 Zuckerst.-G. vom 27. Mai 1896 (R.-G.-Bl. 8. 117 ff.)
und die Entsch. des Reichsgerichts (IV. C.-S.) v. 18. Dez. 1890, E.XX VII S. 44 ff.