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die Prozessvorschriften, z. B. bei unvorschriftsmässiger Besetzung
des Gerichts u. a. m. (Nichtigkeitsklage). Es darf aber weder
die Möglichkeit vorgelegen haben, die fraglichen Umstände schon
durch ein ordentliches Rechtsmittel geltend zu machen, noch
darf die unterlassene Berücksichtigung in dem früheren, rechts-
kräftig abgeschlossenen Verfahren auf ein Verschulden der Ver-
sicherungsstelle zurückzuführen sein (Amtl. Nachr. 1898 S. 360
No. 1716).
Bei Erlass des Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetzes
konnte im Hinblick auf die Erfahrungen in Unfallsachen die aus-
drückliche Anerkennung derartiger besonderer Rechtsbehelfe er-
folgen ($ 82). Dabei ist lediglich auf die Bestimmungen der
Reichscivilprozessordnung verwiesen, und daneben hat man dem
Bundesrathe freie Hand gelassen, durch Kaiserliche Verordnung
Ergänzungen und Abänderungen betrefis der Form und der
Voraussetzungen einer Wiederaufnahme des Verfahrens einzuführen.
Ein dringendes Bedürfniss hierfür ist bisher nicht hervorgetreten,
Desshalb sind die Verhandlungen über eine vom Reichsversicherungs-
amte angeregte Festlegung der Wiederaufnahmegründe’°® ergebniss-
los verlaufen, da die im November 1894 gehaltene Konferenz
von Vertretern der Landesversicherungsämter und Invaliditäts-
und Altersversicherungsanstalten den Erlass einer entsprechenden
Verordnung einstweilen nicht für erforderlich erklärt hat?”.
Nachdem im Vorstehenden die Gründe besprochen sind, welche
für den Fortfall bewilligter Renten maassgebend sein können, ist
Schriftstücke, die sich unmittelbar auf die konkrete Angelegenheit beziehen
und zum Beweise von Rechten oder Rechtsverhältnissen von Erheblickkeit
sind, kommen hier in Betracht (Amtl. Nachr. 1897 No. 1638 S. 407, vgl.
ebenda L.- u. A.-V. 1892 S. 76 No. 148).
3 Der vom Reichsversicherungsamt aufgestellte Entwurf („Arbeiter-
versorgung“ 1892 S. 537) schlug vor, nur solche Thatsachen oder Beweis-
mittel zu berücksichtigen, „welche die Partei in dem früheren Verfahren
nicht gekannt hatte oder ohne Verschulden ausser Stande war, geltend zu
machen“.
#7 „Die I.- u. A.-V.“ Bd. V S.20 No. 11.