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interpretation sein, sondern muss auch dort, wo das positive
Material dürftig ist, die „Natur der Sache“ zur ergiebigen Quelle
vollwerthiger juristischer Erkenntniss zu machen wissen. So wie
nach LaBanD’s oben citirter Deklaration die aus dem jus scrip-
tum abgeleiteten dogmatischen Prinzipien an den Thatsachen
verifizirt werden müssen, das heisst also dort, wo die gefundenen
allgemeinen Prinzipien mit den thatsächlich bestehenden Einrich-
tungen nicht übereinstimmen, die Dogmen — welche richtig zu
gestalten ja Zweck und Ziel der Staatsrechtswissenschaft ist —
durch den Zusammenhalt des jus scriptum und des jus non
scriptum aufgesucht werden müssen, so ist ‘es noch immer un-
verfälschte juristische Methode, wenn eine bis auf die individuellen
Besonderheiten eingehende Analyse der faktischen öffentlich-recht-
lichen Verhältnisse das thatsächliche Vorhandensein rechtlicher
Verhältnisse dort konstatirt, wo einseitige Quellenjurisprudenz
nur politische Fragen zu erkennen vermag.
Das punctum saliens ist eben, zu erkennen, was bereits
rechtliche Geltung hat, und was noch im Flusse politischer Be-
strebungen sich befindet, und diese Erkenntniss ist nur zu ge-
winnen durch Individualisirung heischende quaestio facti. So
wird dem Golde reiner juristischer Methode noch keine politische
Legirung beigefügt, wenn man individualisirend kategorisirt, und
wenn auch diejenigen rechtlichen Thatsachen in die dogmatische
Kategorisirung einbezogen werden, deren juristische Qualität nicht
im jus scriptum wurzelt.
Wohl aber ist es nicht zu verkennen, dass mit der Noth-
wendigkeit, die öffentlichen Verhältnisse auf ihren Gehalt an
öffentlich-rechtlichen Verhältnissen zu analysiren, die Prüfung
und Erörterung politischer Verhältnisse wieder in den Gesichts-
kreis der Wissenschaft gerückt ist. Damit scheint die Wissen-
und befiehlt ausdrücklich (S. 103), ein Verhältniss nicht darnach zu be-
urtheilen, wie es sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung einmal ge-
stalten könnte, sondern wie es ist.