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SEYDEL muss demnach die Richtigkeit seiner Prämisse durch andere
Mittel beweisen und er hat diesen Beweis bis jetzt nicht geliefert.
Die Theorie von SEyDEL steht ferner in Widerspruch mit
der deutschen Rechtsgeschichte. Das Kurfürstentum Bayern
war zur Zeit des heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation
zweifellos nicht blos eine Reichsprovinz, sondern ein Staat. Es
genügt, daran zu erinnern, das Bayern von 1648 bis 1806 ein
völkerrechtsfähiges Rechtssubjekt gewesen ist, welches den
Nymphenburger Vertrag (1741), den Friedensvertrag von Füssen
(1745) und andere völkerrechtliche Verträge abgeschlossen hat,
welches ferner mehrere Kriege geführt hat, u. A. den spanischen
Erbfolgekrieg, in welchem es als Bundesgenosse Frankreichs
gegen das Römische Reich Deutscher Nation kämpfte. Gleich-
wohl war das Kurfürstenthum Bayern nicht die höchste Form
menschlicher Einigung auf bayrischem Boden. Ueber demselben
stand als herrschendes Gemeinwesen das Reich. Letzteres hat
von seinen Herrschaftsrechten auch einen sehr fühlbaren Gebrauch
gemacht, als es 1706 den Kurfürsten Max Emanuel in die
Reichsacht erklärte und sein Land in unmittelbar kaiserliche
Verwaltung nahm.
Die Theorie von SEYDEL steht auch in Widerspruch mit
dem positiven deutschen Staatsrecht. Art. 2 der Reichs-
verfassung bestimmt, dass die Reichsgesetze den Laandesgesetzen
vorgehen. Zum Erlass eines Reichsgesetzes ist die Einwilligung
des bayrischen Staates nicht erforderlich. Es ist also möglich,
dass durch ein Reichsgesetz dem bayrischen Staate, seinen Be-
hörden und Unterthanen Pflichten auferlegt, Handlungen geboten
und verboten werden, welche nicht nur den speziellen bayrischen
Wünschen und Interessen widersprechen, sondern auch einer
formellen Willenserklärung der bayrischen Staatsgewalt, z. B.
einem feierlichen Proteste derselben wegen angeblicher Verletzung
von Reservatrechten, zuwiderlaufen. Aus Art. 2 der Reichs-
verfassung folgt ferner, dass alle Gesetze und Verordnungen des