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„Die Gemeinden jeder Ordnung sind Gebietskörperschaften ohne
Gebietshoheit; die Grliedstaaten und das Reich sind Gebiets-
körperschaften mit Gebietshoheit“. Diese Gtebietshoheit ist
aber keineswegs identisch mit der Souveränetät. Das Wesen der
Gebietshoheit besteht nach Preuss lediglich in der rechtlichen
Fähigkeit einer Gebietskörperschaft, sich selbst zu verändern,
d. h. in der Kompetenz, über jede Veränderung ihrer Grenzen
selbst zu entscheiden.
Diese Theorie von Preuss ist bereits von HÄNEL einer
scharfen, aber trefienden Kritik unterzogen worden‘. HÄNEL
bezeichnet es mit Recht als auffällig, dass Staat und Gemeinde
vollkommen wesensgleich und ununterscheidbar sein sollen bis zu
dem Zeitpunkt, wo an sie die Nothwendigkeit herantritt, über
ihr Gebiet zu verfügen oder eine solche Verfügung dulden zu
müssen, dass also eine einzige, verhältnissmässig untergeordnete
und selten vorkommende Lebensäusserung das ausschliess-
liche Unterscheidungsmerkmal zwischen Staat und Gemeinde
bilden soll. „Eine Grenzregulirung ist wesentlich, ein Verfassungs-
umsturz nicht.“
Die Theorie von PreEuss ist jedoch nicht blos einseitig,
sondern auch direkt unrichtig. Die Einwilligung eines Bundes-
staats zu einer Gebietsabtretung ist jedenfalls dann nicht er-
forderlich, wenn diese Gebietsabtretung nach einem unglücklichen
Kriege die condicio sine qua non für einen Friedensschluss ist.
Wenn Frankreich nach einem für Deutschland ungünstigen
Kriege die Abtretung des linken Rheinufers verlangte, so könnte
der Staat Oldenburg nicht durch seinen Widerspruch gegen die
Abtretung des Fürstenthums Birkenfeld den Friedensschluss ver-
hindern und das Deutsche Reich zur Fortsetzung eines möglicher
—
4 Dr. Hvco Preuss, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften
S. 406. Berlin 1889.
“ Hänrt, Zur Revision der Methode und Begriffsbestimmungen des
Staatsrechts im Archiv für öffentliches Recht Bd. V 8. 457—479.