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Weise aussichtslosen, zwecklosen und verderblichen Krieges
nöthigen. Vom juristischen Standpunkt aus kommt bei dieser
Frage in Betracht, dass die Abtretung von oldenburgischem Ge-
biet an das Ausland eine Aenderung des in Art. 1 der Reichs-
verfassung gesetzlich begrenzten Bundesgebiets enthält und daher
nur in der Form des Art. 78 Abs. 1 erfolgen kann. Die Aus-
nahmevorschrift des Art. 78 Abs. 2 trifft auf die Abtretung von
Gebietstheilen eines Bundesstaats nicht zu. Der Anspruch auf
Schutz des oldenburgischen Gebiets ist kein „bestimmtes Recht
des Staates Oldenburg im Verhältniss zur Gesammtheit“, kein
ius singulare eines einzelnen Bundesstaats, sondern ein Mitglied-
schaftsrecht, welches dem Staate Oldenburg ebenso wie jedem
anderen Bundesstaate zusteht. Diese Mitgliedschaftsrechte haben
nach den Eingangsworten der Reichsverfassung ebenfalls An-
spruch auf den Schutz des Reiches, jedoch natürlich nur so
lange als die physische Möglichkeit dieses Schutzes besteht.
Erweist sich eine fremde Staatsgewalt stärker als die Reichs-
gewalt, so liegt eine vis major vor, deren Folgen die betroffenen
Bundesstaaten ebenso tragen müssen, wie die Folgen eines Natur-
ereignisses z. B. eine Verschiebung der Grenzen durch Abreissen
oder Ueberschwemmen festen Landes an der Nordseeküste.
Es sind also Fälle denkbar, in welchen die Grenzen eines
Bundesstaats ohne Zustimmung dieses Bundesstaats verändert
werden können. Es gibt aber auch Fälle, in welchen die Zu-
stimmung eines Bundesstaats zur Veränderung seiner Grenzen
nicht ausreicht, z. B. bei Abtretung von Bundesgebiet an das
Ausland. Ein Vertrag zwischen Frankreich und Hessen über
die Abtretung der Festung Mainz an Frankreich würde gegen-
über dem Art. 1 der Reichsverfassung nichtig sein. In der
Fähigkeit des Staates, seine Gebietsgrenzen selbst zu verändern,
kann hiernach der wesentliche Unterschied zwischen Staat und
Kommunalverband nicht gefunden werden.
Archiv für öffentliches Recht. XIV. 3. 03