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Mit dieser Begriffsbestimmung wird der Verf. der Wirklichkeit unserer
Verwaltungsrechtspflege gegenüber jedenfalls nicht auskommen. Doch ist die
grössere oder geringere Genauigkeit hier gar nicht so wichtig. Der Verf. will
nicht so „anachronistisch“ verfahren, moderne Rechtsinstitute auf die Ver-
gangenheit zu übertragen; es soll nur untersucht werden, „welche Rechts-
institute der damaligen Zeit der modernen Verwaltungsrechtspflege ent-
sprechen“ (S. 64). Also Aehnlichkeiten, praktische Gleichwerthigkeiten werden
genügen. In der That ist ja der Ausgangspunkt hier und dort ein ganz ver-
schiedener. Die moderne Verwaltungsrechtspflege ist eine von unserer Gesetz-
gebung geschaffene besondere Einrichtung zum Zwecke des besseren Rechts-
schutzes in der Verwaltung. Der alte Staat brachte für das, was wir jetzt
Verwaltung nennen, Formen der Rechtspflege unbefangen von Haus aus
mit. „Die Gerichtsgewalt, als der Mittelpunkt aller staatlichen Gewalt,
bildete das Fundament der landesherrlichen Rechte.“ Sie gibt der ganzen
obrigkeitlichen Thätigkeit ihre Formen; wenigstens ist es selbstverständlich,
dass man überall zuletzt die Obrigkeit als Richter findet. Langsam lösen
sich Polizei und Finanz ab, um sich freier und selbständiger zu bewegen.
Als die Trennung durchgeführt und die Freiheit eine völlige geworden war,
hat man nach Verwaltungsrechtspflege gerufen.
Der Verf. gibt ein gutes Bild der hier angedeuteten Entwicklung. Es
erweitert sich ihm aber ganz von selbst zu einer umfassenden Geschichte der
österreichischen Behördenorganisation überhaupt, wobei es mit der Be-
schränkung auf die „Verwaltungsrechtspflege“ nicht mehr so genau genommen
wird. Das ist lohnend genug. Namentlich wird man immer zum Vergleich
angeregt mit den verhältnissmässig bekannteren Erscheinungen in der Ver-
waltungsgeschichte Frankreichs und Preussens. Oesterreich ist dem letzteren
natürlich weit voraus. Wir verweisen nur auf die Entstehung der kollegialen
Mittelbehördev, von welchen S. 33ff. die Rede ist. Sehr anziehend ist auch
die Darstellung der Hofkanzleien (S. 140ff.); hier kommt die Eigenartigkeit
des österreichischen Staatswesens so recht zur Geltung.
Strassburg. Otto Mayer.
m
Felix Glatzer, Das Recht der provisorischen Gesetzgebung, in
Sonderheit nach preussischem Staatsrecht. Breslau, M. u. H.
Marcus, 1899. X u. 112S. gr. 8. M. 3.50. (Heft 2 der Abhandlungen
aus dem Staats- und Verwaltungsrecht, herausgeg. von Prof. Dr. Siegfr.
Brie.)
Ihrem Gegenstande nach schliesst sich die Abhandlung an die im
1. Heft der Sammlung abgedruckte Arbeit von FLEISCHMANN über den Weg
der Gesetzgebung in Preussen an, welche in diesem Archiv Bd. XIII S. 610
besprochen worden ist. Allerdings ist das Thema dieser Untersuchung be-