Full text: Archiv für öffentliches Recht.Vierzehnter Band. (14)

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wird. Die Rechtsordnung soll Ersatz für die zerstörte Harmonie des Natur- 
zustandes leisten, sie soll vor Allem das Eigenthum beschützen; der Staat 
ist nur ein Werkzeug zum Schutze des Eigenthums. Was dann die Giltig- 
keit des Rechts anbelangt, so will Rousseau nach Lierwann den allgemein- 
giltigen Massstab und obersten Zielpunkt für jedes mögliche Rechtssystem 
geben. Rousseau entwirft ein ideales Schema der Staatsgewalt, woran man 
prüfen kann, ob das faktisch Bestehende unsere Anerkennung als Recht 
verdiene. Denn das Recht wird nicht durch Fakta geschaffen, sondern die 
Rechtsordnung ist nur giltig, wenn ihr Inhalt dem Interesse der Einzelnen 
entspricht. Eine Rechtsordnung, die diesem ihren Endzweck widerstreitet, 
hat nur faktischen, keinen rechtlichen Werth. Rousseau wendet sich gegen 
die Identifizirung von Recht und Macht, Recht ist gesetzmässige Macht. Die 
Quintessenz des Contrat social ist nach LiEpmann, dass das Gesetz über den 
Menschen stehen soll. Es ist daher nur Schein, wenn Rousseau die ab- 
solute Hingabe des Einzelnen an die Rechtsordnung verlangt, in Wahrheit 
gehorcht Jeder ihr nur bedingt. In Verfolg dieser Grundsätze verwirft dann 
Rousseau die absolute Monarchie und fordert die reine, nicht repräsentative 
Demokratie, die Herrschaft des souveränen Volkes. 
Man sieht, mit der traditionellen Auffassung der Rousseau’schen Lehre 
wird hier völlig gebrochen. Lıepmann kommt zu seinem Ergebniss, indem er, 
was entschieden zu billigen ist, ausser dem Contrat social auch andere, bis- 
her wenig oder gar nicht beachtete Schriften Rousseau’s heranzieht. Nament- 
lich, dass Rousseau mit Unrecht als Feind des Eigenthums verschrien wird, 
hat LiepMmann wohl nachgewiesen. Aber dass Rousseau nur die bedingte 
Giltigkeit des Rechtszwanges lehre, bleibt doch zweifelhaft. Gerade an der 
von LIEPMANN angeführten Stelle sagt Rousseau nicht, wie LIEPMANN über- 
setzt, „nur wenn das Recht uns schützt, sind wir verpflichtet zu gehorchen“, 
sondern „nur weil (parce que) das Recht uns schützt etc.“. Dass das Recht 
uns schützt, ist aber nach Rousseau selbstverständlich, also sind wir zum 
Gehorsam verpflichtet. 
Aber auch wenn wir LiEPManN seine Auffassung der Sätze Rousseau’s 
zugeben — man kann darüber streiten, denn wie LIEPMANN selbst sagt, kann 
oftmals die entgegengesetzte Meinung aus Rousseau’s Worten abgeleitet 
werden, — so fragt sich doch, ob es ihm gelungen ist, nachzuweisen, dass 
die Ausführungen Rousseau’s so werthvoll sind, wie er anzunehmen geneigt 
ist. LIEPMANN muss zugeben, dass Rousseau’s Lehre abstrakt ist, nicht für 
wirkliche Menschen bestimmt, woraus sich ein Widerspruch zwischen Ideal 
und Wirklichkeit ergibt, der in einzelnen Fällen krass hervortritt. Das aber 
macht für den praktischen Juristen, der es doch mit wirklichen Menschen, 
„die bei ihren Entschlüssen der Vernunft nur wenig, desto grösseren Raum 
aber ihren Affekten gewähren“, zu thun hat, diese Untersuchungen doch un- 
fruchtbar. Gerade dagegen ist die historische Rechtsschule aufgetreten, dass 
„wir“, wie LIEPMANN sagt, doch wohl die Rechtsphilosophen, „einheitliche
	        
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