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Eine Streitfrage aus dem Rechte
des konstitutionellen Gesetzgebungsverfahrens.
Von
WALTER FRORMANN, Kiel.
Im konstitutionellen Gesetzgebungsverfahren ist praktisch be-
deutsam die Frage, wie lange die gesetzgeberische Willenserklä-
rung der Volksvertretung in der Weise wirksam bleibt, dass durch
die hinzutretenden Akte der Sanktion, Ausfertigung und Ver-
kündigung seitens des monarchischen Organes ein gültiges Gesetz
zustande zu kommen vermag. Die Bedeutung dieser Frage er-
hellt am besten daraus, dass-von ihrer Beantwortung beispiels-
weise die Gültigkeit der Reichsgesetze vom 12. März 1884, 8. Dez.
1884, 3. Mai 1890, 6. Mai 1890, 19. Juni 1893, 3. Juli 1893,
sowie der preussischen Gesetze vom 13. Dez. 1858, 11. Sept.
1865, 27. Febr. 1884 und 9. Mai 1888 abhängt. In der staats-
rechtlichen Litteratur ist man sich in dieser Hinsicht noch so
wenig einig, dass keine der bisher aufgestellten Ansichten auch
nur als die herrschende bezeichnet werden kann. Man teilt sie
am besten in zwei Gruppen: nach der einen Ansicht erlischt die
Wirksamkeit der gesetzgeberischen Willenserklärung der Volks-
vertretung mit einem genau bestimmten Zeitpunkte, und zwar
wird als solcher bezeichnet entweder der Beginn der nächsten
Session ! oder der Augenblick, in dem die Volksvertretung, welche
! Lapann, Staatsrecht des Deutschen Reichs, 3. Aufl., Bd. I S. 565;
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