— 571 —
Individuen ihre Persönlichkeit vollkommen der Sicherheit und dem Gedeihen
des Staats aufopfern müssen, und da der Staat seine Zwecke und die Mittel
zu ihrer Erreichung selbst bestimmt, so führt die organische Staatslehre zu
einer Leugnung jedes Rechts des Individuums, und damit seiner Persönlich-
keit und des objektiven Rechts überhaupt, also zum sozialen Staatsabsolutis-
mus (S. 91). Sehr geistreich bemerkt der Verf. (S. 98), dass, sowie die
historische Rechtsschule mit ihrer Redensart vom „Wachsen“ des Rechts
dazu angelangt war, den Begriff des Rechts dem der Vegetation unter-
zuordnen, die organische Staatslehre den Staat dem Thierreiche zuweist und
aus dem Staatsrecht einen zoologischen Traktet macht. Das Urtheil über
die organische Staatstheorie, zu welchem der Verf. gelangt, gipfelt in dem
Satze (S. 79), dass sie bisher Nichts gebracht hat als bildliche Vergleiche,
tönende Worte, apodiktische Behauptungen, aber keinen festen Begriff, keine
wissenschaftliche Klarstellung.
Während die beiden ersten Kapitel vorwiegend kritisch und ablehnend
sind, also zu negativen Resultaten gelangen, beschäftigt sich das dritte
Kapitel (S. 95—176) mit der positiven Darlegung der juristischen Staats-
theorie d. h. der Theorie von der Persönlichkeit des Staats. Der Verf.
beginnt mit einer interessanten Schilderung des Aufkommens dieser An-
schauung und ihrer allmäligen Berichtigung. Er giebt dann eine sehr gute
Entwicklung des juristischen Begriffs der Person als Rechtssubjekt, d. h. als
die vom objektiven Rechte anerkannte Fähigkeit, Träger von Rechten und
Pflichten zu sein, einer Fähigkeit, die niemals von der Natur gegeben,
sondern immer nur in der Rechtsordnung begründet sein kann, und er zeigt
namentlich, dass die Vorstellung des Staats als Rechtssubjekt allein im
Stande ist, an die Stelle einer schrankenlosen und willkürlichen Herrschaft
eine rechtlich beschränkte, mit gesetzlich festgestellten Rechten ausgestattete
Staatsgewalt und ihr gegenüber eine gesetzlich anerkannte und geschützte
Rechtssphäre der Individuen zu konstruiren. Er wendet sich mit über-
zeugender Beweisführung gegen die Einwendungen, dass die juristischen
Personen blosse Abstraktionen, Fiktionen, Nothbehelfe der juristischen Kon-
struktion seien und namentlich auch gegen die haltlose Behauptung, dass
der Begriff der juristischen Person auf die Sphäre des Privatrechts be-
schränkt und vom Staat nur für Zwecke des privatrechtlichen Verkehrs ge-
schaffen sei. Die Erörterung des Begriffs „Rechtssubjekts* führt den Verf.
(S. 108ff.) zu einer Untersuchung des Begriffs „subjektives Recht“, durch
welche die Bedeutung, welche der Wille und das geschützte Interesse für
diesen Begriff haben, klar gestellt wird. Wenn GiwrkE den Begriff der
juristischen Person damit angreift, dass er sagt, auf die Frage, wer kann
Rechte und Pflichten haben, laute die Antwort „eine Person“ ; auf die weitere
Frage, was ist eine Person, erhalte man die Antwort, ein Etwas, welches
Rechte und Pflichten haben kann, und daran höhnische Bemerkungen über
die Inhaltlosigkeit dieser Begriflsbestimmung knüpft, so zeigt der Verf. (S. 126),