Full text: Archiv für öffentliches Recht.Vierzehnter Band. (14)

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Der Kompass auf dem Wege zur Lösung der Frage ist in der That 
uralten Rechtsgedanken zu entnehmen. Auch die moderne Gesellschaft mit 
ihren sozialen Gedanken und dem gesteigerten positiven Eingreifen des Staates 
kommt hier über eine rein formelle Entscheidung, über das Rechtsmittel des 
prätorischen Interdiktenschutzes nicht hinaus und darf, wenn sie ein Rechts- 
staat sein will, nicht über ihn hinausgehen. Die zugleich trockene und er- 
habene Formel „uti possidetis, quominus ita possideatis, vim fieri veto“ ist 
der ausreichende und praktische Gesichtspunkt für die Streitentscheidung. 
Der gesellschaftliche Kampf um die Lohnrate, den Unternehmergewinn und 
den Kapitalzins liegt erfahrungsmässig ausserhalb der Tragweite gesetz- 
geberischer Vorschriften. So wenig wie das Edikt Diokletian’s de pretiis 
rerum venalium die Warenpreise, das berühmte Statut 43 Elisabeth’s die 
Löhne, die Wuchergesetze den Zinsfuss und die Steuergesetze die Profitrate 
dauernd willkürlich haben bestimmen können, so wenig kann eine Verbots- 
gesetzgebung die natürliche Entwicklung ökonomischer Grundrechte für Ar- 
beitnehmer und vor allem für die Arbeiter verhindern. Wie LoRExZz v. STEIN 
hervorhebt, ist es vergebens, zu erwarten, dass ein Lebendiges das unter- 
lasse, wozu es die Natur seines Wesens zwingt. 
Wir müssen uns daher bescheiden, zu dem meist sehr mit Unrecht ge- 
scholtenen, dem Menschen unendlich oft aufgezwungenen Grundsatz „laissez- 
faire“ noch die Ergänzung und die praktische Maxime für den Gesetzgeber 
hinzuzunehmen: laissez-combattre. Der prätorische Rechtsbehelf ist nur, 
entsprechend der gesteigerten Breite des modernen materiellen Lebens, zu 
einem gesellschaftlichen Interdiktenschutz ganzer Klassen entwickelt. Aber 
heute wie vormals bleibt er auf die schlichten Leitsätze der prozessualen einst- 
weiligen Verfügung angewiesen, welche den heissen wirtschaftlichen Kampf 
in geordneten Formen zulässt. Die Staatsgewalt hat die vis atrox, die gewalt- 
same Friedensstörung, fernzuhalten, im übrigen aber den Satz des Florentin 
im Corpus juris gelten zu lassen: Libertas est naturalis facultas ejus, quod 
cuique facere libet, nisi si quid jure prohibetur. 
Man kann daher dem Ergebnis, welches der Verf. in seiner sorgfältigen 
Untersuchung gewonnen hat, nur zustimmen. Nach einer eingehenden Wür- 
digung des in den verschiedenen Ländern geltenden positiven Rechts und 
der grossenteile nicht unbefangenen und wenig einsichtigen Rechtsprechung 
in der Schweiz, Frankreich und Deutschland formuliert er seine Ansicht da- 
hin: „Widerrechtlich sind diejenigen Handlungen, die durch irgend eine von 
kompetenter Behörde erlassene Rechtsnorm verboten sind. Alle übrigen 
Handlungen sind Ausübung subjektiver Rechte oder Ausflüss der allgemeinen 
Freiheit.“ Der scheinbare Einwand, dass hier insofern eine petitio principii 
vorliege, als eben die kompetente Behörde und die verbietende Norm ge- 
sucht werde, entfällt bei der weiterhin (8. 118) gegebenen Fassung, „an sich 
ist die Aufforderuug zum Boykott und Sperre eine kraft allgemeiner Freiheit 
erlaubte Handlung“ und (8.148) „die Verrufserklärungen sind nur ausnahnıs-
	        
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