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Freiheitssphäre der Staatsbürger sich ergebenden Problemen beschäftigt und
in seinen Saggi di Scienza e Diritto della pubblica Amministrazione (2 Bde.
1889/90) höchst schätzenswerthe Beiträge zur Erkenntniss und Lösung der-
selben geliefert hat, nicht nur ale ein wissenschaftlich interessantes, sondern
zugleich als ein praktisch nützliches und verdienstvolles Unternehmen er-
scheinen, seine Landsleute näher mit dem englischen Verwaltungssystem be-
kannt zu machen, dessen Kenntniss die unumgängliche Voraussetzung für
ein riohtiges Verständniss der auch in Italien viel bewunderten englischen
Parlamentsverfassung bilde. Auch er mochte, wie dereinst GxEisT, hoffen,
dass eine genauere Kenntniss des englischen Staatslebens „von der Ver-
waltungsseite aus“ nicht nur den Verwaltungsbeamten durch Erweiterung
ihres Gesichtskreises und den Juristen durch Eröffnung eines klareren Ver-
ständnisses ihres Verhältnisses zur Verwaltung, sondern, wenngleich nur
mittelbar, auch für die Berichtigung politischer Parteianschauungen von
Nutzen sein dürfte. Ist doch in Italien noch weit weniger als in Deutsch-
land die Ueberzeugung zum Durchbruch gelangt, dass eine gute Verwaltung
für das Wohl und Wehe der Bevölkerung mehr bedeutet, als die Verfassung
des Staates; spielen doch gerade dort konstitutionell-parlamentarischer Dok-
trinarismus und politische Schlagworte vielfach noch eine Rolle, der gegen-
über ein Hinweis auf die durchaus realpolitische, bei allem Wechsel der
herrschenden Parteien, ruhig, konsequent und ohne Sprünge sich entwickelnde
Verwaltung Englands eine höchst heilsame Wirkung haben könnte.
Freilich war die Aufgabe, die sich BERTOLINI stellte, in weiteren Kreisen
seiner Landsleute Interesse und Verständniss für die so ausserordentlich ver-
wickelten Verhältnisse der englischen Verwaltung zu erwecken, eine umso
schwierigere, als sich ein grösserer Gegensatz wie zwischen den nach fran-
zösischem Muster streng systematisierten und centralisierten Verwaltungs-
einrichtungen Italiens und den gänzlich systemlos, man möchte fast sagen
zufällig entstandenen und in weitgehendster Weise decentralisierten englischen
Institutionen kaum denken lässt. Aber BERTOLINI war auch, wie wenige,
zur Durchführung seines Planes befähigt und vorbereitet. Er vereinigt in
hervorragendem Masse die beiden Eigenschaften, welche als die Grund-
bedingungen für eine Lösung der schwierigen Aufgabe betrachtet werden
müssen. Er besitzt einmal eine umfassende und gründliche Kenntniss nicht
nur der einzelnen Verwaltungseinrichtungen und der fast unübersehbaren
Masse von Verwaltungsgesetzen und Reglements, sondern auch der so ver-
schiedenartigen und vielverzweigten sozialen, religiösen, politischen und
wirthschaftlichen Verhältnisse, welche die Entwickelung der Lokalverwaltung
in den verschiedenen Perioden bedingt und bestimmt haben. Erbesitzt aber
zugleich den ruhigen, unbefangenen politischen Blick, der nach Gueıst's Ur-
theil allein ein richtiges Verständniss der englischen Verwaltung ermöglicht.
„Wer“, sagt Guest, „in dem englischen Staat zunächst die Bestätigung
irgend einer Liebliogsmeinang sucht, wer etwas Anderes geben will, als eine