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schlichte, wahrhaft getreue Erzählung von dem inneren Staatsleben des eng-
lischen Volkes, wird an dieser Aufgabe verzweifeln müssen.“ Die hier an-
gedeutete gefährliche Klippe hat BerroLinı mit sicherem Blick zu vermeiden
gewusst. Seine Darstellung ist ein Muster von Objektivität. Um diese zu
wahren, hat er sogar der gewiss häufig genug an ihn herangetretenen Ver-
suchung widerstanden, die geschilderten Verwaltungseinrichtungen mit denen
seiner Heimath zu vergleichen und daraus kritische Schlüsse zu ziehen. Es
wäre dies zweifellos für den Leser höchst interessant und lehrreich gewesen,
'hätte aber den ganzen Charakter des Werkes verändert. BERTOLINI wollte
in demselben eine rein wissenschaftliche Darlegung, nicht eine politische Partei-
und Tendenzschrift geben. Die Vergleiche und Schlüsse ergeben sich für
den einsichtigen, mit den italienischen Einrichtungen, deren Vorzügen und
Mängeln vertrauten Leser von selbst.
Da die englische Verwaltung in ihrer heutigen komplizierten Gestalt
nur aus ihrem geschichtlichen Entwickelungsprozess heraus verstanden werden
kann, so erschien dem Verf. eine streng historische Methode der Dar-
stellung als die für seinen Zweck am besten geeignete. In sechs Büchern
schildert er uns die allmälige Entwickelung der Lokalverwaltung von den
ältesten angelsächsischen Zeiten bis zur Gegenwart. Indem er dabei überall
die verschiedenen sozialen und kulturellen Verhältnisse darlegt, welche ein
Eingreifen der Verwaltungsthätigkeit nothwendig machten und zugleich Ziele
und Mittel derselben bestimmten, wird das Werk nebenbei zu einer Art von
Kulturgeschichte des englischen Volkes. Wir sehen, wie die Lokalverwaltung,
ursprünglich wesentlich nur auf den Gebieten des Armen- und Wegewesens
thätig, nach und nach immer weitere Kreise von Gemeinschaftsinteressen
ergreift, sich auf das Gesundheits- und Unterrichtswesen, auf Gewerbe und
Handel erstreckt und sich innerhalb der einzelnen Verwaltungszweige nach
Massgabe einer bis in’s kleinste Detail gehenden centralen Gesetzgebung be-
thätigt. Da diese englische Verwaltungsgesetzgebung gänzlich systemlos
immer nur auf die Befriedigung der jeweils gerade zu Tage tretenden Be-
dürfnisse gerichtet war, und für die verschiedenen neu an die Verwaltung
herantretenden Aufgaben immer neue lokale Verbände, neue Abgaben und
neue Behörden schuf, so entstand ein immer wirreres Chaos von Kompe-
tenzen, Pflichten und Rechten, ein wahres Labyrinth von Verwaltungs-
einrichtungen, in dem es oft selbst den zunächst Betheiligten kaum mehr
möglich ist, sich zurecht zu finden. Die Art, wie der an die strenge
systematische Klarheit und Uniformität der Institutionen seiner Heimath ge-
wöhnte Autor diese äusserst komplizierten, fremdartigen Verhältnisse wissen-
schaftlich erfasst und zur Darstellung gebracht hat, verdient hohe Anerkennung.
Er beherrscht den gewaltigen Stoff vollständig und verliert in dem fast un-
übersehbaren Gewirre der Einzelheiten nie die grossen leitenden Gesichts-
punkte aus dem Auge. TUeberall ist seine Darstellung knapp, klar und
präzis, gänzlich frei von der Weitschweifigkeit, Redseligkeit und Phrasen-