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E. Rouard de Card, Les Traites entre la France et le Maroc. Paris,
A. Pedone, 1898.
Obwohl Frankreich einen alten und ausgedehnten Kolonialbesitz hat,
dessen Einfluss auf die Entwicklung seines Rechts- und Staatslebens sich zu-
sehends steigert, so hat doch die französische Rechtsliteratur bisher dem
System des Kolonialrechts besondere Beachtung und Pflege nicht zugewendet.
Spielt dabei der streng nationale Charakterzug des Franzosen im Allgemeinen
eine Rolle, der ihm das Eingehen und Vertiefen in Fremdartigem erschwert,
so hat sich dieser Zug in der letzten Zeit doch etwas mehr verwischt und
einer grösseren Empfänglichkeit für juristische Phänomene fremder Staaten
und Völker Platz gemacht. RouARD DE Caro, ein guter Kenner des kolonialen
Rechtsstoffes sucht den von ibm mit gutem Grunde gerügten „Lakonismus“
der französischen Fachliteratur durch eine eingehende Diskussion der politischen
und rechtlichen Beziehungen Frankreichs zu Marokko zu durchbrechen. Er
geht auf quellenmässiger Grundlage dem geschichtlichen Entwicklungsgang
der an Umfang und Gehalt seit dem 16. Jahrh. zunehmenden Verbindung
mit diesem Barbareskenstaat nach bis zur gegenwärtigen Gestaltung des poli-
tischen Verhältnisses der Republik zu dem ihrer grossen afrikanischen Kolonie
benachbarten „kaiserlichen“ Marokko. Wer aus der Geschichte trotz Hegel
lernen will, wird für die Gestaltung der modernen Kolonialpolitik manche
Lehre aus dem klar und anziehend geschriebenen Buche Rovarnp DE CARD's
gewinnen können. Stoerk.
Alphonse de Haulleville, Les aptitudes colonisatrices des Belges
et la question coloniale en Belgique. Bruxelles, Lebegue.
Leipzig, Dieterich (Theodor Weicher). 1898. 438 S. gr. 8°.
Für die Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Belgiens in der jüngsten
Zeit ist der Umstand bezeichnend, dass der Antheil des Staates an der grossen
jetzt durch ganz Europa gehenden Kolonialbewegung nicht uus Volkskreisen
heraus den ersten Anstoss empfangen hat, sondern unmittelbar von der Krone
ausgegangen ist. Seit Jahren gehen die Bestrebungen der letzteren dahin,
die Herstellung einer mächtigen belgischen Kriegs- und Handelsflotte zu be-
treiben, um dadurch der ausgreifenden Aktion des kleinen Staates die er-
wünschten Stützpunkte zu sichern. Die grosse industrielle Entwicklung Bel-
giens macht ihm eben die Erwerbung und Behauptung neuer Absatzgebiete
zur unabweislichen Pflicht und der in früher Stunde gewonnene Riesenbesitz
des Kongoreichs macht es Belgien leicht, für die Befestigung seines Ein-
flusses in China und an anderen vielfach umstrittenen Punkten der aufzu-
theilenden Welt Kompensationen in Afrika zu gewähren. Die hieraus sich
ergebenden Verwicklungen politischer und rechtlicher Natur haben die Publi-
cistik Belgiens in den letzten Jahrzehnten wiederholt eingehend beschäftigt
und der sachkundige Verfasser drängt sie in seinem Buche zu einem leicht