Full text: Archiv für öffentliches Recht.Vierzehnter Band. (14)

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auch der Kaiser hat ohne Rücksicht darauf, ob ihm der Inhalt 
der Vorlage zusagt, diese schlechthin nach Massgabe der Be- 
schlüsse des Bundesrates an den Reichstag zu bringen, wo aber 
die Freiheit des Handelns für den Kaiser ein Ende hat, da findet 
auch die Verantwortlichkeit des Ministers für die Regierungs- 
handlungen des unverantwortlichen Staatsoberhauptes ihr Ende. 
Andererseits erscheint die Kontrasignatur der kaiserlichen An- 
ordnung, welche die Vorlage eines vom Bundesrate beschlossenen 
Gesetzentwurfess an den Reichstag befiehlt, auch insoweit als 
Pflicht des Reichskanzlers, als der Kaiser verpflichtet ist, die 
Vorlage an den Reichstag zu bringen; d. h. soweit nicht die 
Ueberzeugung von der Mangelhaftigkeit der Entstehungsform des 
Bundesratsbeschlusses die Verpflichtung des Kaisers ausschliesst, 
muss der Reichskanzler jede kaiserliche Anordnung gegen- 
zeichnen, in welcher die Beförderung dieses Beschlusses an 
den Reichstag befohlen wird. Darum wie der Kaiser niemals 
seine Missbilligung des Inhalts des verfassungsmässig entstan- 
denen Bundesratsbeschlusses zum Anlass nehmen darf, die Vor- 
legung desselben vor den Reichstag zu verzögern oder ganz 
zu unterlassen, ebensowenig darf eine solche Missbilligung 
seitens des Reichskanzlers hierzu Anlass geben. Allerdings hat 
der Reichskanzler in solchen Fällen nach $ 35 des Reichs- 
beamtengesetzes das Recht, ohne weiteres seine Entlassung zu 
fordern und sich so der Mitwirkung bei einem ihm nicht ge- 
nehmen Gesetze zu entziehen®®. 
85 Es ist freilich der Fall denkbar, dass der Reichskanzler bei einem 
ihm nicht genehmen Gesetze, dessen Bedeutung bei kurzer Verzögerung der 
Einbringung im Reichstage vollständig oder zum grossen Teil hintällt, seinen 
Zweck, dieses Gesetz zu hintertreiben, durch eine in die Form eines Ent- 
lassungsgesuches gekleidete Weigerung der .Kontrasignatur erreichen kann; 
für solche Fälle erscheint es zum mindesten zweifelhaft, ob nicht der Reichs- 
kanzler trotz seines Entlassungsgesuches die Vorlage an den Reichstag durch 
seine Kontrasignatur ermöglichen muss als bei einem laufenden unaufschieb- 
baren Regierungsgeschäfte.
	        
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