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muss, ausdrücklich in der Verfassung nicht vorgeschrieben ist,
den Schluss zieht, es sei rechtlich ganz in das Belieben des
Kaisers gestellt, ob und wann er die Publikation vollziehen wolle.
Zum mindesten missverständlich ist es aber auch, wenn MEYER
(Bstr. S. 508) behauptet, eine Frist für die Sanktion und Publi-
kation der vom Reichstage genehmigten Gesetzentwürfe bestehe
im Reiche nur insoweit, als dieselben spätestens bis zum Beginne
der neuen Legislaturperiode erfolgen müssten. Ob es bezüglich
der dem Bundesrate zustehenden Sanktion mit der Behauptung
Me£yer’s seine Richtigkeit hat, ist hier nicht näher zu erörtern;
unrichtig ist es jedenfalls, wenn MEYER in der zitierten Aeusse-
rung dem Kaiser die Befugnis beimessen will, auch nach erfolgter
Sanktion seitens des Bundesrates die Ausfertigung und Ver-
kündigung bis zum Beginne einer neuen Legislaturperiode hinaus-
zuzögern. Meines Erachtens gilt immer noch der bereits von
MOoser°® ausgesprochene Grundsatz:
„Hinwiederum, wann etwas einmahl von dem Reich be-
schlossen worden ist, sd einer Ausfertigung bedarff, solle der-
selben auch kein ungebührlicher Anstand gegeben werden,
zumahlen wo eine Gefahr auf dem Verzug hafftet.“
Ueber die Form der Ausfertigung sind in der Reichsrver-
fassung nähere Vorschriften nicht enthalten. Bestimmte Erforder-
nisse ihrer Form ergeben sich indes aus ihrem Zwecke, welcher
darin besteht, das Zustandekommen eines Reichsgesetzes und
dessen Inhalt zu beurkunden. Die gegebene Form einer Aus-
fertigung ist hiernach die einer vollständigen Urkunde, welche,
unter genauer Angabe von Zeit und Ort der Ausstellung, und
versehen mit der eigenhändigen Unterschrift des Ausfertigenden,
den Inhalt des zu erlassenden Gesetzes wiedergiebt und dabei
erkennen lässt, dass dieser Inhalt fortan geltendes Gesetz dar-
stelle; hierzu kommt im Deutschen Reiche noch der Beidruck
3 Teutsches Staatsrecht, L 8. 46f.