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sie auf die ursprünglich gar nicht vorgesehene selbständige Bundes-
regierung anwendet.
III. Nachdem bisher die Thätigkeit des Kaisers am Reichs-
gesetzgebungsverfahren für sich allein erörtert worden ist, er-
übrigt nunmehr noch, ein Bild von dem Reichsgesetzgebungs-
verfahren als einem einheitlichen Ganzen zu entwerfen, da man
erst bei diesem Hintergrunde einen richtigen Gesamteindruck von
der Beteiligung des Kaisers an der Reichsgesetzgebung zu ge-
winnen vermag.
Zwei Momente sind in jedem (resetzgebungsverfahren wohl
zu unterscheiden: die Bildung des staatlichen Gesetzgebungs-
willens und die Erzeugung der Rechtsverbindlichkeit des zum
Inhalte des Staatswillens erhobenen Rechtsgedankens. Das positive
Staatsrecht vermag den Gang des Gesetzgebungsverfahrens be-
züglich jedes dieser beiden Momente in der mannigfachsten Weise
zu gestalten. Hier interessiert vor allem der Gang der Gesetz-
gebung in der konstitutionellen Monarchie, weil die Verfassung
des Deutschen Reiches, welches in der Hauptsache aus konsti-
tutionellen Monarchien hervorgegangen ist und noch besteht, eine
Reihe von Zügen aufweist, gerade auch bezüglich des Gesetz-
gebungsverfahrens, welche an das konstitutionell-monarchische
erinnern.
Für den Begriff der konstitutionellen Monarchie ist es
wesentlich, dass die Gesetzgebung sich vollzieht durch ein Zu-
sammenwirken von Monarch und Volksvertretung, in der Weise,
dass jedes dieser Organe in seiner gesetzgeberischen Thätigkeit
dem anderen in voller Selbständigkeit gegenübersteht, mit anderen
Worten: beide sind in dieser Hinsicht unmittelbare Staatsorgane.
Hieran ändern nichts die Rechte der Krone, die Thätigkeit der
Volksvertretung in Gang zu setzen und im Gange zu erhalten;
denn in dieser Kompetenz ist zugleich die verfassungsmässige
Pflicht zur Vornahme der betreffenden Handlungen unter gewissen,
regelmässig wiederkehrenden Voraussetzungen enthalten. Die-