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wirtschaftlichen Entwicklungsgesetze, die man durch eine kurzsichtige Gesetz-
gebung nicht aufhalten kann. Er hat Freude am Fortschritt und hebt seine
Richtungslinien in klarster und weitblickender Darstellung aus dem Bereiche
der wirtschaftlichen Tageskämpfe und dem Gezänke der Interessenten her-
aus. Er beherrscht endlich den gesamten staatswissenschaftlichen Wissens-
stoff wie kaum ein anderer. Förmlich spielend verwendet er seine aus-
gebreitete, vertiefte und kritisch verarbeitete Literaturkenntnis, ohne in den
Fehler zu verfallen, den ungemein anziehenden Reiz seines Lehrbuches und
das Geschmackvolle und Leichtflüssige seiner Doktion durch den Ballast von
Literaturnotizen und von den in Deutschland mehr als wünschenswert sich
breitmachenden Fachpolemiken herabzumindern. Für die Stellung der
nationalökonomischen Wissenschaft zu den Interessenkämpfen unserer Zeit
ist es überaus bezeichnend, dass ein Autor selbst von dem Range eines
Gustav Conan sich gezwungen sieht, Gebieten wie der Agrar- und Gewerbe-
politik gegenüber, die er nach dem Gesamtplan seines Werkes hätte vor der
Handels- und Verkehrspolitik behandeln müssen, eine wissenschaftliche Ent-
haltung zu beobachten, so lange wenigstens, als eine unbehagliche Gährung
in den Tagesmeinungen herrscht, die den neutralen Fachmann unwillkommen
und unpopulär erscheinen lässt. Um so dankbarer wird es die Fachwelt
begrüssen, dass in dem vorliegenden Bande einer der Häupter der führenden
deutschen nationalökonomischen Schule die Summe seiner Ansichten und Be-
obachtungen über denjenigen Zweig seines Faches zieht, auf dem er seit einem
Vierteljahrhundert durch feinsinnige und abgerundete Essays in hervorragendem
Masse mitgearbeitet hat. Gustav Coun ist ein Meister auf dem Gebiete der
Handels- und Verkehrspolitik. Besonders die innere Handelspolitik, die
„Institutionen des Handels“, wie er es nennt, Märkte, Messen, Börse, Wechsel,
Handelskorporationen u. s. w. finden bei ihm eine umfassende Darstellung.
Sie ist freilich nicht ganz gleichmässig und nicht ganz frei von subjektiven
Raisonnements. Ref. glaubt z. B., dass Coun die begutachtende Thätigkeit
der Handelskammern geneigt ist, zu unterschätzen. Im Verkehrswesen gilt
Gustav CoHn, besonders dank seiner Arbeiten über die englische Eisenbahn-
politik, seit langem als einer unserer ersten Fachleute, aber mir scheint, dass
er die finanzpolitische Seite gar zu sehr in den Vordergrund rückt, wie
er dies auch bereits im zweiten Bande, demjenigen über die Finanzwissen-
schaft, gethan hat. Ich glaube, dass eine Reaktion speziell gegen den
preussischen Fiskalismus auf diesem Gebiete erfolgen wird und muss und
weiche bezüglich seiner Anschauungen in der Kanalfrage, wie ich an anderer
Stelle auszuführen Gelegenheit hatte, ganz erheblich von ihm ab. Ich habe
den Eindruck, dass Gustav Coun wie viele andere seiner Kollegen so verbittert
ist durch die Rücksichtslosigkeit unserer Interessenkämpfe, dass er auch die
vielleicht hie und da übertriebenen Agitationen für die Binnenschiffahrts-
strassen nur als einseitige Quertreibereien unserer grossindustriellen Unter-
nehmer ansieht. Es wäre nicht allzu schwer, nachzuweissen, dass er in