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Revolution begegnet, und zwar ist der Gedanke, dass Staatsverbrechen von
vertragsmässigen Auslieferungspflichten zu eximieren seien, zuerst in Amerika
ausgesprochen worden. Im Zeitalter der Restauration ist weder in den
Gesetzbüchern, noch in den Verträgen, noch in den Förderationsakten von
einer völkerrechtlichen Sonderstellung der politischen Delikte die Rede.
Obgleich die internationale Praxis keinen Anstand nahm, sich der bestehenden
Vollmachten zu bedienen, machten sich immerhin doch zunehmende Be-
denken gegen eine im Auslieferungswege erfolgende Zwangssistierung politi-
scher Refugies bemerkbar, wofür charakteristisch die preussisch-russischen
Kartellkonventionen sowie gleichzeitige Vorgänge in England, Frankreich und
Holland sind.
Verf. behandelt hierauf Belgien und die politischen Delikte, indem er
davon ausgeht, dass der heutige Zuschnitt ohne Eingehen auf die belgische
Legislation nicht verstanden werden könne. Mit dem Ausdruck „politisches
Delikt“ stellt der Gesetzgeber nicht Triebfedern und Tendenzen, sondern
objektive Kriterien auf. Er rechnet die zusammengesetzten (gemischten,
komplexen) politischen Thatbestände keineswegs zu den gemeinen Verbrechen
und die aus politischen Motiven verübten keineswegs zu den politischen
Delikten. Der Begriff eines relativ politischen Delikts entspricht nicht dem
belgischen Recht, dessen Sinn vielmehr einfach der ist, dass der Asylschutz
bloss den politischen Thatbeständen verheissen wird, sondern dass er unter
gewissen Voraussetzungen auch auslieferungsmässigen Strafthaten zu gute
kommen soll. Es sind zwei Fälle zu unterscheiden. Der eine ist die ideelle
Konkurrenz eines politischen mit einem nicht politischen Auslieferungs-
verbrechen. Der zweite Fall ist der, dass eine an sich unter die Rechts-
hilfepflicht fallende Strafthat in concreto mit einem politischen Thatbestand
konnex ist, d. h. zusammenhängt. Der Begriff der Konnexität zielt auf eine
Mehrheit von Verschuldungen ab, also nicht auf politische Legalthatbestände
zusammengesetzter Natur, oder gar auf blosse Realkonkurrenz. Gemeint ist
vielmehr ein bewusstes und gewolltes Kausalitätsverhältnis zwischen zwei
verschiedenen Rechtsverletzungen. Das gemeine Verbrechen ist einem poli-
tischen konnex, wenn es als Mittel, Weg, Deckung für eine anderweitig be-
gangene politische Strafthat gewollt ist. Gegensatz des konnexen ist das
isolierte Verbrechen. Bei der Frage, was im Gegensatz zu einer konnexen
Strafthat ein politischer Thatbestand sei, ist vom französisch-belgischen
Strafrecht bei seiner Unterscheidung von crimes contre la chose publique
und contre les particuliers auszugehen. Letztere sind nicht politisch. Aber
auch die Verbrechen gegen das Gemeinwesen sind keineswegs sämtlich
politisch, vielmehr ist, um festzustellen, welche Rechtsverletzungen nach
ihrem objektiven Charakter als politisch zu erachten sind, auf das Prinzip
des politischen Arylschutzes einzugehen. Dieser findet seinen Grund ledig-
lich in der Unsicherheit über die strafrechtliche Würdigung eines in der
Fremde von einem Ausländer begangenen Verbrechens, dessen schuldhafte