Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfzehnter Band. (15)

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(wirtschaftlichen) Zwecke oder die Unterstützung der Staatsgewalt oder die 
Leistung von, dieser obliegenden, Arbeiten zu vertreten. Wo der einzige, 
aber nur scheinbare — scheinbar, weil er zum grossen Teil auf Ernennungen 
nach Art des Beamtenstandes beruht — Geburtsstand, der Adel, wirkliche 
politische Rechte besitzt, hat er sie nicht gegen den Staat zu vertreten, 
sondern im Gegenteil, der Staat ist es, der ihm diese Rechte verleiht und 
ihn in diesen Rechten schützt, und er hat ihn dafür gegen den eigentlichen 
„Stand“ im mittelalterlichen Sinne, die Masse der Bewohnerschaft, zu unter- 
stützen. Vielfach spricht man daher schon von einem „königlichen Adel“, 
was im eigentlichen Sinne des Begriffs „Adel“ baarer Unsinn ist. 
Das „mittelalterliche“ des Adelsstandes ist daher auch nur scheinbar. 
Seine staatsrechtliche Aufgabe hat sich völlig neu entwickelt; sie besteht 
nicht mehr darin, sich selbst gegen den Staat, sondern, mit seinem Besitz 
an Vermögen und Intelligenz, die Macht des Staats zu erhalten (Gneist, 
Englische Verfassungsgeschichte S. 675ff.), die Begründung einer Beherr- 
schung des Staats durch die Bevölkerung zu verhindern, also gerade eine 
Wiederkehr mittelalterlicher Zustände zu verhüten. 
Deshalb sind Korkunow (S. 79) ganz richtig, aber im Widerspruch 
mit sich selbst, die Grosswürdenträger und Grossoffiziere Napoleon’s aus der 
ersten Zeit seines Kaiserreichs, obwohl sie dem Namen nach kein Adel waren, 
ein solcher; nur ist es eigenartig, dass er, trotz der vielfachen Revolutionen, 
den, jeder besonderen Rechte mit Ausnahme der auf seine Bezeichnungen 
beraubten, französischen Adel wegen seiner gesellschaftlichen Bedeutung für 
„mit einem besonderen Zauber“ (obajanie) behaftet und für den „vornehmsten 
(rodowitoe) und glänzendsten“ in Europa hält, während doch der älteste und 
an Besitz und Rechten hervorragendste Adel in Deutschland existiert. 
Korkunow aber geben die, aus dem Mittelalter überkommenen, Titel, 
Ahnentafeln, Kurialien den Ausschlag, weshalb er mit Vorliebe, namentlich 
in der Schilderung des englischen Adels (8. 80ff.), bei diesen verweilt und 
die eigentlichen staatswirtschaftlichen Aufgaben in den Hintergrund treten 
lässt, auch z.B. die gänzliche Veränderung der staatswirtschaftlichen Stellung 
des englischen Adels (als „potenzierter Gentry“, wie GnEIST a. a. O. 8. 621 
sagt) ignoriert, vielmehr die Gentry für eine Art zweiten Adels erklärt, 
wegen gewisser Aeusserlichkeiten. 
Der deutsche Adel hat nach Korkunow die Eigentümlichkeit, dass er 
sich in hohen und niederen Adel teilt, einen Unterschied, der aus den Zeiten 
des heiligen römischen Reichs herstammt, in welchen es einen Adel gab, 
der der Reichsgewalt unmittelbar unterstand und einen Adel, der den Landes- 
herren unterstand („den örtlichen Fürsten“) — eine Auffassung, die eine ganze 
Quelle von rechtlichen Irrtümern enthält. 
Zunächst ist die Unterscheidung nur eine Unterscheidung des gewöhn- 
lichen Sprachgebrauchs und erst von den Rechtslehrern zu einer juristischen 
ausgebildet (ZöPrL a. a. OÖ. Bd. II S. 120).
	        
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