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Derjenige, welcher um die Reglements sich nicht kümmere, be-
gehe eine solch grobe Nachlässigkeit, dass jede Entschuldigung
wegen Unwissenheit ausgeschlossen sei®!,
Dennoch kann im einzelnen Falle der Nachweis geführt
werden, wesshalb aus dem Schweigen nicht auf eine stillschweigende
Unterwerfung zu schliessen sei °’?.
Anders bei der Arbeitsordnung. Hier wird eine still-
schweigende Unterwerfung von vornherein garnicht vorausgesetzt,
daher auch jeder Nachweis ausgeschlossen, wesshalb man sich der
Arbeitsordnung oder einigen Bestimmungen derselben, mögen sie
auch sonst nicht üblich sein, nicht unterworfen habe.
Mit dem Augenblicke, wo Jemand durch Abschliessung des
Arbeitsvertrages in einem Grossbetrieb Arbeiter wird, findet
kraft Gesetzes die Arbeitsordnung auf ihn Anwendung, ganz
gleichgiltig, ob er sich derselben hat unterwerfen wollen oder
nicht. Nicht der Vertrag bildet die Grundlage für die rechtliche
Wirksamkeit der Arbeitsordnung, sondern das die ausdrückliche
oder stillschweigende Unterwerfung ersetzende Gesetz.
Der Arbeitsordnung kommt daher nicht Vertragsnatur zu.
Sie ist vielmehr eine einseitige Willenserklärung des Fabrik-
besitzers, welcher frühestens zwei Wochen nach ihrem Erlass
kraft Gesetzes Rechtsverbindlichkeit für Arbeitgeber und Arbeiter
zukommt, soweit der Inhalt derselben nicht den Gesetzen zu-
widerläuft ($ 134° Abs. 1 R.-Gew.-O.).
Die Strafen, welche in der Arbeitsordnung vorgesehen werden,
sind demnach Ausfluss einer selbständigen dem Fabrikbesitzer
übertragenen Strafbefugniss und nicht das Ergebniss überein-
stimmenden Willenskonsenses.
s1 So Urtheil des Handelsgerichts Frankenthal in Goldschmidt, Zeitschr.
f. Handelsrecht Bd. XII S. 599.
#2 7. B. wenn besondere Modalitäten festgesetzt waren, die auch ein
aufmerksamer Mann nicht wissen konnte; vgl. GoLpscaaiDt, Haftung der
Eisenbahn-Verwaltungen, in seiner Zeitschrift Bd, IV $, 598ff.