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Art. 5 Tautologien. Möge der eine Absatz immerhin auf-
zählen, wer die gesetzgebenden Faktoren seien, so müsse der
andere Absatz bedeuten, dass gesetzgebende Gewalt oder Gesetz-
gebung die Befugniss, Rechtssätze aufzustellen, bedeute. Da die
Delegation der Befugniss, Rechtssätze aufzustellen, nur speziell
und ausdrücklich in einem Gesetze erfolgen könne, so sei eine
Subdelegation unstatthaft. Verordnungen, die dem Kaiser
oder dem König durch Verfassung oder Gesetz aufgetragen seien,
dürfen daher bei Vermeidung der Nichtigkeit nicht vom Reichs-
kanzler oder einem Minister ergehen. Aus dem gleichen Grunde
sei anzunehmen, dass die preussische Verfassung, und ganz
gewiss die Reichsverfassung, keine allgemeine Delegation der
Befugniss, Rechtsverordnungen zu erlassen, kenne; die Reichs-
verfassung schliesse eine solche Annahme ausdrücklich aus, da
sie dem Bundesrath nur (in Art. 7 Ziff. 2) die Befugniss g&be,
Verwaltungsvorschriften (also nicht Rechtsvorschriften) zu
erlassen. Rechtsverordnungen seien im Sinne der Verfassung.
namentlich auch des Art. 2 R.-Verf., Gesetze, woraus sich
ergebe, dass sie bei Vermeidung der Ungültigkeit kraft ver-
fassungsrechtlicher Vorschrift wie Gesetze, also im Reiche im
Reichsgesetzblatt verkündet werden müssen.
Aus diesen Ansichten folgte, dass so ziemlich alle damals
vorhandenen Reichsverordnungen als ungültig erklärt werden
mussten!, z. B. die so ungeheuer wichtigen, die Grundlage des
Personen- und Güterverkehrs, der Konstruktion, des Signalwesens,
der Sicherung und des Betriebes der Eisenbahnen bildenden
Bundesraths-Verordnungen, einmal, weil sie, obwohl Rechts-
normen enthaltend, nicht von der Gesetzgebung erlassen seien,
sodann, weil zu ihrem Erlasse das Reich überhaupt nicht zu-
ständig sei, und endlich, weil sie grossentheils und anfänglich
! Vgl. namentlich A. HäneL, Die organisatorische Entwickelung der
deutschen Reichsverfassung, Leipzig 1880,