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politischen Standpunkte aus weit unwichtiger sind als Gebietsver-
änderungen, Anleihen, Kriegs- und Friedensschlüsse, Oberbefehl
über das Heer) nur vom Könige und den Kammern gemeinschaft-
lich erlassen werden dürfen? Berichterstatter zu Titel V von den
Kammern (also von der Gesetzgebung) in der II, Kammer war
der Rheinländer v. BECKERATH, ein gelernter Seidenweber, der
von der Theorie vom formellen und materiellen Gesetz so wenig
Vorstellung hatte als vom Naturrecht. Dies begriff er aber, dass
Gesetz höchste Anordnung, und dass Gesetzgebung höchste
Gewalt war. Berichterstatter und Mehrheitsredner der II. Kammer
zu dem heutigen Art. 106, ich möchte meinen, der sedes materiae,
war der Kölner Appellationsgerichtsrath BROICHER, der am
26. Jan. 1850 sagte (Verhandlung der II. Kammer 8. 2119):
„Die ganze Bedeutung der gesetzgebenden Gewalt besteht doch
nun wohl unstreitig darin, dass die Beschlüsse der drei Faktoren,
welche sie bilden, wenn sie in der vorgeschriebenen Form publizirt
sind, überall und unter allen Umständen als Gesetze gelten“, wäh-
rend die allein von der Krone oder den Ministern, Regierungen
u. s. w. erlassenen Anordnungen nicht überall und unter allen
Umständen verbindlich sind, sondern nur, soweit sie den „Ge-
setzen“ nicht widersprechen, — denn diese drei Faktoren sind
„die höchste Gewalt im Staate“. Also nicht die Eigenschaft
als Rechtsnorm ist das Entscheidende, diese kommt auch könig-
lichen, ministeriellen und anderen Verordnungen zu, sondern die
Eigenschaft als überall und unter allen Umständen geltend,
als von der höchsten Gewalt ausgehend, macht das Wesen
des Gesetzes aus. Den rheinischen Juristen (Dr. REICHEN-
SPERGER war der Verfasser der Motive zu dem Art. 45 der
Verfassung) war der Satz: Gesetz sei Rechtsnorm, damals ganz
fremd. Jedoch wir wollen uns nach weiteren Rednern umsehen:
Bei Berathung der XIII. Proposition des heutigen Art. 106
(„die Prüfung der Gültigkeit gehörig verkündeter königlichen Ver-
ordnungen steht nicht den Behörden, sondern nur den Kammern