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setzesbegriffes aus Art. 4 gefolgert werden. Das fragliche Grund-
recht bedeutet, dass das Gesetz gleiche Anwendung auf Jeder-
mann finde; daraus kann gefolgert werden, dass auch das rögle-
ment und decret, arröte, die doch ihre Quelle, ihre Autorität aus
dem „loi“ hernehmen, so zu sagen nur Anwendungen und Aus-
führungen des loi sind, erst recht auf Jedermann gleiche An-
wendung finden. Man wollte nicht sagen, nur das Gesetz —
nicht die Verordnung — sei für Jeden gleich, sondern man wollte
im weitesten Sinne die Gleichheit aller Bürger aussprechen; daher
lautet das Grundrecht vollständig: „Les hommes sont tous &gaux
devant la loi et admissibles A toutes dignites, places et emplois
publics selon leurs capacites et leurs vertus.“ Loi ist hier nicht
nur als wichtigste Rechtsnorm, sondern auch als Quelle und
Ursprung aller anderen Rechtsnormen, schlechthin als Rechts-
norm aufzufassen. Dies gilt auch von dem Satze, dass „Gesetz“
im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Civil- oder Straf-
prozessordnung (für die Frage der Rechtsmittel) jede Rechts-
norm bedeute. Zwar giebt es auf dem Gebiete des preussi-
schen Rechts zwingende Vorschriften, die sich nicht auf ein Ge-
setz zurückführen (Universitätsstatuten, Schulregulativen, Marsch-
verpflegungssätze, Militär -Disziplinarstrafordnung, militärisches
Ehrengerichtsverfahren u. s. w.); aber die kommen principaliter
nicht zur richterlichen Kognition. Das selbständige könig-
liche Verordnungsrecht betrifft Gegenstände, die wenig-
stens im Jahre 1850 nach dem positiven Recht nicht un-
mittelbar zur Anwendung oder zur Aburtheilung durch
den Richter bestimmt sind. Desshalb (also wegen Art. 86,
oder wegen der Gewaltentheilung) ist es im Ergebnisse richtig,
dass die Civil- und Strafrechtspflege nicht auf Grund königlicher
selbständiger Verordnungen von den ordentlichen Gerichten
gehandhabt werden kann; aber Rechtsnormen, zwingende, in
den Rechtsstand der Unterthanen eingreifende Rechtsnormen
sind es, die vorschreiben, an wie viel Religions- und Lese-
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