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sisch-rechtlichen Gebiets, die sächsischen, württembergischen Ge-
richte und die der übrigen Staaten grösstentheils die Verkündung
aussetzen. Dass hierin mancherlei Abweichungen stattfinden, ist
selbstverständlich, und muss sich der Wechsel der Gerichts-
mitglieder auch in dieser Beziehung geltend machen. Im All-
gemeinen herrscht aber das Bestreben, in denjenigen Gegenden,
wo die sofortige Berathung und Verkündung der Entscheidung
üblich ist, diesen Zustand möglichst aufrecht zu erhalten, und
üben manche Präsidenten hierüber eine ganz besondere Aufsicht
aus. Umgekehrt ist es schon häufig vorgekommen, dass ein aus
dem Osten nach dem Westen der preussischen Monarchie ver-
setzter Direktor oder Präsident die sofortige Verkündung der
Entscheidungen hat einführen wollen, auch wohl eingeführt hat,
dass aber später wieder zu der gewohnten Aussetzung der Ver-
kündung der Entscheidung übergegangen ist.
I.
Der Zustand, wie er im Osten auf dem Gebiet des Civil-
prozesses besteht und dessen Einführung im ganzen Reich von
der Reichstagskommission erstrebt wurde, besteht seit dem Inkraft-
treten der Reichsstrafprozessordnung im Strafverfahren allgemein.
Hier herrscht unter den deutschen Gerichten die grösste Ein-
heitlichkeit. Im Strafverfahren treten die Gerichte nach jeder
Sache zur Berathung zusammen und verkünden die Entscheidung
sofort, wenn auch $ 267 St.-P.-O. dem Gericht ebenso wie $ 310
O.-P.-O. die Wahl gibt zwischen der sofortigen Verkündung der
Entscheidung und der Aussetzung auf eine Woche. In Straf-
sachen machen die deutschen Gerichte nur ganz ausnahmsweise,
bei besonders verwickelten Sachen, von der Befugniss zur Aus-
setzung der Verkündung Gebrauch.
Dieser Unterschied zwischen der Handhabung des Verfahrens
in Strafsachen und in Civilsachen hat seinen guten Grund. Im
Strafprozess handelt es sich vorwiegend um Thatfragen, welche
Archiv für öffentliches Recht. XV. 8. 96