— 391 —
Handhabe findet, ein als Berichterstatter oder Urtheilsfasser
vorher zu bestimmender Richter nothwendig vorher Kenntniss von
den Akten nehmen müssen.
Es ist merkwürdig, dass im Strafverfahren die Kenntniss der
Akten vor der Verhandlung viel stärker verpönt ist, als im
Civilverfahren. Im Strafprozess ist der Berichterstatter über die
Eröffnung des Hauptverfahrens von der Mitwirkung bei dem
Hauptverfahren selbst durch positive Gesetzesvorschrift aus-
geschlossen. Auch dort, wo für Civilsachen regelmässig ein
Referent bestellt zu werden pflegt, ist dies im Strafverfahren nur
ausnahmsweise bei ganz grossen Sachen der Fall. Man steht
dort, vielleicht unbewusst, aber doch thatsächlich unter dem Ein-
druck, dass im Strafverfahren die Kenntniss der Akten vor der
Verhandlung dem Mündlichkeitsprinzip schadet. Kann man nun
wirklich glauben, dass der Gesetzgeber, welcher gleichzeitig Civil-
prozessordnung und Strafprozessordnung berathen und erledigt hat,
der für beide Prozessordnungen als grundlegendes Prinzip die
Mündlichkeit des Verfahrens eingeführt hat, in einem so wichtigen
Punkte, wie es die Kenntniss der Akten Seitens des Gerichts ist,
sich auf einen entgegengesetzten Standpunkt gestellt hat, dass
er im Strafverfahren die gründliche Kenntniss der Akten vor der
Verhandlung als unzulässig, im Civilverfahren dagegen die Kennt-
niss der Akten als unbedingt nothwendig erachtet haben sollte?
Das ist doch nicht anzunehmen.
Wenn somit der Gesetzgeber für das Civilverfahren eine
Vorschrift weder nach der einen noch nach der anderen Seite
getroffen und die Art der Vorbereitung in das Ermessen des
Gerichts gestellt hat, so wird naturgemäss jeder Richter pflicht-
gemäss zu erwägen haben, in welcher Weise er sich am richtigsten
auf die mündliche Verhandlung vorbereitet. Der Vorsitzende
wird die Akten vor der Verhandlung studiren, um die Leitung
der Verhandlung in sachgemässer Weise führen zu können, und
dies ist auch bei fast allen deutschen Gerichten üblich. Auch