Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfzehnter Band. (15)

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steht an sich nichts im Wege, dass ein oder alle Mitglieder zu 
ihrer Information die Schriftsätze vor der Verhandlung ansehen. 
Endlich wird auch der Vorsitzende schon vor dem Termin ein 
Mitglied des Gerichts als Urtheilsfasser bestimmen können, wenn- 
gleich es hier schon zweifelhaft ist, ob darunter nicht die münd- 
liche Verhandlung leidet. Denn wenn die Sachen zur Bearbeitung 
unter die Mitglieder des Gerichts erst nach der Sitzung vertheilt 
werden, so fördert dies die allgemeine Aufmerksamkeit ganz 
besonders. Es ist eine tägliche Erfahrung, dass, wenn die Ver- 
theilung der Sachen schon vor der Sitzung erfolgt ist, der Richter, 
welcher in einer Sache nicht als Urtheilsfasser bestimmt ist, nicht 
mit derselben Schärfe aufpasst, als wenn er damit rechnen muss, 
dass er die Sache zur Bearbeitung erhält. 
Aber eine solche Vorbereitung genügt nicht, um in nicht 
ganz einfach liegenden Sachen eine sofortige Berathung und Ver- 
kündung der Entscheidung zu ermöglichen. Dazu bedarf es einer 
gründlicheren Vorbereitung. Es muss zuvor die Sache auf Grund 
der Akten mindestens von einem Richter nach der thatsächlichen 
und rechtlichen Seite so gründlich durchgearbeitet werden, dass 
der betreffende Richter sich schon vor der Verhandlung ein festes 
Urtheil gebildet hat. Dies geschieht denn auch dort, wo die 
Entscheidung sofort nach der Verhandlung verkündet wird, ge- 
wöhnlich durch ein schriftliches Referat. 
Eine solche Vorbereitung steht im Widerspruch mit der 
(irundlage unseres Prozessverfahrens, dem Prinzip der Mündlich- 
keit. Sie verlegt den Schwerpunkt aus der mündlichen Verhand- 
lung in die Schriftsätze. Jede vorherige Fixirung der Ansichten 
Seitens der Grerichtsmitglieder und gar die Kenntnissgabe derselben 
an die anderen Richter, welche häufig mit dem schriftlichen 
Referat verbunden ist, steht auf demselben Boden, wie eine der 
Verhandlung vorhergehende Berathung. BäHr, der mit Ent- 
schiedenheit für das schriftliche Referat mit Votum eingetreten 
ist, legt einen besonderen Werth darauf, dass der Referent „sich
	        
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