-- 392° —
steht an sich nichts im Wege, dass ein oder alle Mitglieder zu
ihrer Information die Schriftsätze vor der Verhandlung ansehen.
Endlich wird auch der Vorsitzende schon vor dem Termin ein
Mitglied des Gerichts als Urtheilsfasser bestimmen können, wenn-
gleich es hier schon zweifelhaft ist, ob darunter nicht die münd-
liche Verhandlung leidet. Denn wenn die Sachen zur Bearbeitung
unter die Mitglieder des Gerichts erst nach der Sitzung vertheilt
werden, so fördert dies die allgemeine Aufmerksamkeit ganz
besonders. Es ist eine tägliche Erfahrung, dass, wenn die Ver-
theilung der Sachen schon vor der Sitzung erfolgt ist, der Richter,
welcher in einer Sache nicht als Urtheilsfasser bestimmt ist, nicht
mit derselben Schärfe aufpasst, als wenn er damit rechnen muss,
dass er die Sache zur Bearbeitung erhält.
Aber eine solche Vorbereitung genügt nicht, um in nicht
ganz einfach liegenden Sachen eine sofortige Berathung und Ver-
kündung der Entscheidung zu ermöglichen. Dazu bedarf es einer
gründlicheren Vorbereitung. Es muss zuvor die Sache auf Grund
der Akten mindestens von einem Richter nach der thatsächlichen
und rechtlichen Seite so gründlich durchgearbeitet werden, dass
der betreffende Richter sich schon vor der Verhandlung ein festes
Urtheil gebildet hat. Dies geschieht denn auch dort, wo die
Entscheidung sofort nach der Verhandlung verkündet wird, ge-
wöhnlich durch ein schriftliches Referat.
Eine solche Vorbereitung steht im Widerspruch mit der
(irundlage unseres Prozessverfahrens, dem Prinzip der Mündlich-
keit. Sie verlegt den Schwerpunkt aus der mündlichen Verhand-
lung in die Schriftsätze. Jede vorherige Fixirung der Ansichten
Seitens der Grerichtsmitglieder und gar die Kenntnissgabe derselben
an die anderen Richter, welche häufig mit dem schriftlichen
Referat verbunden ist, steht auf demselben Boden, wie eine der
Verhandlung vorhergehende Berathung. BäHr, der mit Ent-
schiedenheit für das schriftliche Referat mit Votum eingetreten
ist, legt einen besonderen Werth darauf, dass der Referent „sich