Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfzehnter Band. (15)

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der Gerichte haben ihren Theil Schuld an der mangelhaften Ein- 
führung der mündlichen Verhandlung bei vielen Gerichten. Denn 
bei wirklich mündlicher Verhandlung können an einem Tage 
kaum mehr als 6—7 Sachen kontradiktorisch verhandelt werden, 
während die Geschäftslage vieler Gerichte die Verhandlung von 
12—20 solcher Sachen an einem Sitzungstage fordert. 
Wer nicht aus eigener Anschauung die Eindrücke der leben- 
digen Darstellung kennt, kann schwer beurtheilen, von welchem 
Werth eine wirkliche mündliche Verhandlung ist. Bei den Reichs- 
tagsverhandlungen über die Novelle zur Oivilprozessordnung hat 
sich hie und da unverkennbar ein gewisser Zug der Hinneigung 
zu einer grösseren Schriftlichkeit des Verfahrens gezeigt. Man 
hat auch vom „Mündlichkeitsfanatismus“ gesprochen, um für die 
Schriftlichkeit weitere Konzessionen fordern zu können. Dieser 
Zug hat seinen Ursprung gerade in der Mangelhaftigkeit der 
mündlichen Verhandlung. Wo die Schriftsätze jedes Wort ent- 
halten, welches in der Verhandlung vorgetragen wird und die 
mündliche Verhandlung daher in einem mehr oder weniger wört- 
lichen Ablesen der Schriftsätze besteht, da kommt man von selbst 
zu dem Wunsch, dass den Schriftsätzen auch in der Prozess- 
ordnung diejenige Bedeutung beigelegt werde, welche sie in der 
Praxis besitzen. Wo hingegen wirkliche Mündlichkeit herrscht, 
wie am linken Rheinufer, da hat man noch von keiner Sehnsucht 
zach der Rückkehr zu grösserer Schriftlichkeit gehört. 
Die zur sofortigen Verkündung der Entscheidung erforder- 
liche gründliche Vorbereitung auf Grund der Akten mit ihrem 
schriftlichen Referat muss also die Bedeutung der mündlichen 
Verhandlung in jeder Weise abschwächen. Einmal macht sie 
das Gericht befangen und dann veranlasst sie, entsprechend dem 
allgemeinen Drange des Menschen, Ueberflüssiges zu vermeiden, 
die Parteivertreter, die mündliche Verhandlung möglichst rasch 
abzumachen. Wenn die Schriftsätze eine entscheidende Bedeutung 
erhalten, so wird sich die Entwicklung wiederholen, welche der
	        
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