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besonders in Betracht, dass die Parteien mit dem gesprochenen
Urtheil, auch wenn es für vorläufig vollstreckbar erklärt ist, an
sich nichts anfangen können. Sie müssen erst die Ausfertigung
des Urtheils abwarten, und diese erfolgt nicht schneller, wenn
auch das Urtheil sofort nach der Verhandlung gesprochen wird.
Denn soweit haben wir es noch nicht gebracht, dass eine sofort
nach der Verhandlung verkündete Entscheidung bei der Ver-
kündung mit Thatbestand und Gründen zu Papier gebracht vor-
liegt. Das würde voraussetzen, dass die Gerichte nicht blos ein
schriftliches Referat, sondern schon einen fertigen Urtheilsentwurf
vor der Sitzung anfertigen lassen. GOLDENRING berichtet zwar '*,
dass es im rechtsrheinischen Deutschland vorkommen soll, dass
die Berichterstatter in der Berufungsinstanz bereits mit fertigen
Urtheilsentwürfen in der Sitzung erscheinen, aber einen weiteren
Umfang dürfte diese auf absoluter Missachtung einer der wichtig-
sten Grundlagen unseres Prozesses beruhende Einrichtung doch
wohl kaum erlangt haben.
Lässt die sofortige Berathung und Entscheidung im Straf-
prozess sich weit besser durchführen als im Civilprozess, so ent-
spricht sie dort. auch einem dringenden Bedürfniss. Dasselbe
liegt in Haftsachen, wo der Verurtheilte unter Verzicht auf die
Einlegung eines Rechtsmittels sofort nach der Verkündung des
Urtheils aus der Untersuchungshaft in die Strafhaft übertreten
kann, klar auf der Hand. Aber auch in Nichthaftsachen liegt
die sofortige Entscheidung im allgemeinen Interesse. Die Oeffent-
lichkeit nimmt an Strafsachen einen ganz anderen Antheil als an
Civilsachen. Erfolgt die Freisprechung des Angeklagten unmittel-
bar nach der Verhandlung, so ist der moralische und materielle
Nachtheil, der dem Angeklagten durch die Anklage bereitet
worden ist, wesentlich geringer, als wenn die Berichte über die
Verhandlung sich in entstellter und übertriebener Form in der
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