Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfzehnter Band. (15)

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wo die Parteien von den Schriftsätzen abweichen, was für den 
Zuhörer auch ohne Kenntniss der Akten erkennbar ist. 
Auch der Gesetzgeber steht auf dem Standpunkt, dass der 
Richter befähigt ist, durch Notizen die wichtigsten Thatsachen zu 
fixiren. Das ergibt sich schon aus der Fassung des 8 313 O.-P.-O. 
letzter Absatz, nach welchem bei der Darstellung des Thatbestandes 
eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze 
und auf die zum Sitzungsprotokoll erfolgten Feststellungen „nicht 
ausgeschlossen“ ist. Hieraus geht schon hervor, dass diese Bezug- 
nahme nicht die Regel sein soll. Vielmehr soll das Gericht grund- 
sätzlich den Sachverhalt auf Grund des Eindrucks der münd- 
lichen Verhandlung darstellen. Ferner ist hier auf 8 161 C.-P.-O. 
zu verweisen, nach welchem die Feststellung der Aussagen der 
Zeugen und Sachverständigen unterbleiben kann, wenn die Ver- 
nehmung vor dem Prozessgericht erfolgt und das Endurtheil der 
Berufung nicht unterliegt. Das Gleiche gilt nach 8 273 St.-P.-O. 
allgemein für die Zeugenvernehmungen vor der Strafkammer. In 
diesen Fällen ist der Richter bei der Darstellung des That- 
bestandes ausschliesslich auf seine Notizen angewiesen. Wer dem 
Richter die Fähigkeit, solche Notizen anzufertigen, abspricht, 
müsste zuerst die Beseitigung dieser Vorschriften über die 
Nichtprotokollirung von Zeugenaussagen fordern. Denn eine un- 
richtige Wiedergabe der Bekundungen der Zeugen kann im ein- 
zelnen Fall viel schwerer wiegende Folgen haben, als die That- 
sache, dass einem Richter ein einzelnes Moment der mündlichen 
Verhandlung aus dem Gedächtniss entschwunden ist. 
Den besten Prüfstein für den Einwand, dass unter der Aus- 
setzung der Verhandlung die Darstellung des Thatbestandes leide, 
bildet die Untersuchung, ob in der Praxis in weiterem Umfang 
Klagen über die Zuverlässigkeit des Thatbestandes erhoben worden 
sind, und ob diese Klagen in denjenigen Gegenden, wo regel- 
mässig eine Aussetzung der Verkündung der Entscheidung statt- 
zufinden pflegt, stärker hervorgetreten sind, als dort, wo sofort 
Archiv für Öffentliches Recht. XV. 8. 97
	        
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