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Das Oberlandesgericht hatte mit Recht hervorgehoben, dass
die fraglichen Wegestrecken in dem zur Erweiterung des Bahn-
hofes Kolmar 1876 durchgeführten Enteignungsverfahren nicht
einbegriffen worden waren; es glaubte desshalb auch nicht unter-
suchen zu müssen, „ob eine Expropriirung von öffentlichem
Gemeindegut angängig“. Die Frage durfte kurzweg verneint
werden; nach französischem Recht unterliegt das öffentliche
Eigenthum zweifellos nicht der Enteignung!, und auch für andere
Rechtsgebiete wird sich das behaupten lassen. Die Enteignung
ist der Ausdruck der Oberhoheit des Staates über das privat-
rechtliche Eigenthum, des dominium eminens, wie man es früher
nannte; sie geht ihrer Natur nach am Öffentlichen Eigenthum
vorüber Was manchmal irre gemacht hat, das ist gerade der
Umstand, dass den Eisenbahnanlagen auch öffentliche Wege
weichen müssen”. Wenn man aber genauer zusieht, so erkennt
man, dass es hier nicht die Enteignung ist, die das bewirkt,
sondern etwas ganz Anderes, nämlich das Rechtsinstitut, das
wir hier vor uns haben.
Dass öffentliche Wege nicht enteignet werden können, ist
für andere öffentliche Unternehmungen von so grosser Bedeutung
nicht. Sie können im schlimmsten Fall ihnen ausweichen. Die
Eisenbahn kann das nicht; sie muss gerade durch das Gebiet
entlang. Der Staat, der sie baut oder konzessionirt, wird ihr
auch seine Strassen preisgeben. Aber die Provinz, die Ge-
meinde? Wenn sie nicht will und wenn der Grundsatz feststeht,
dass das Mittel der Enteignung hier nicht hilft? Wie soll das
! De Lauteav, Tr. de l’expropriation I n. 182; pe Weıss, De l’ex-
propriation p. 78. — Dass nach geschehener Aufhebung (declassement) des
Weges u. s. w. die Enteignung zulässig ist, steht damit nicht in Wider-
spruch: dann handelt es sich eben nicht mehr um öffentliches Eigenthum.
% Hierüber: Deutsches Verwaltungsrecht Bd. II S. 22ff.
° F. Seyver, Gesetz über die Enteignung $S. 7; bayer. Verwaltungs-
gerichtshof vom 4. Mai 1876 (Sammlung Bd. VII S. 231).