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Der hier betrachtete Fall lehrt uns also auf das Deutlichste,
dass die Revision nicht im Stande ist, das fehlende Kompetenz-
konfliktsverfahren zu ersetzen. —
Unser Fall regt noch eine andere Betrachtung an, welche
die eigenthümliche Stellung der Reichseisenbahnverwaltung
im „Staate* Elsass-Lothringen beleuchtet und einen Beitrag
liefern mag zur Bestimmung der rechtlichen Natur dieses letzteren
Gebildes.
Die Wegeveränderungen, welche aus Anlass von Eisenbahn-
anlagen vor sich gehen sollen, werden nach dem maassgebenden
französischen Rechte angeordnet von dem Ministre des travaux
publics. Die Genehmigung der Erweiterung des Bahnhofes Kolmar
im Jahre 1875, welche die Unterdrückung der beiden streitigen
Wege enthielt, erfolgte durch das Reichskanzleramt. Die Wieder-
holung dieses Aktes, als ihn das Oberlandesgericht für unwirksam
erklärt hatte, geschah im Jahre 1898 durch das Reichsamt für
die Verwaltung der Reichseisenbahnen. Reichsbehörden üben
also in Elsass-Lothringen die Befugnisse des Ministers der öffent-
lichen Arbeiten aus, machen Gebrauch von der staatlichen Wege-
hoheit und von der darin liegenden Gewalt, allen öffentlichen
Wegen des Staates, des Bezirkes, der Gemeinden die im höheren
Interesse der Eisenbahn nöthigen Aenderungen aufzuerlegen. Sie
thun hier, was anderwärts den Landesbehörden zukommt, sie
haben aber auch hier Landesbehörden neben sich, die vielleicht
um die eine oder andere Zuständigkeit Namens des Landes mit
ihnen streiten können. Wir sind mitten in den grossen Fragen
des elsass-lothringischen Staatswesens. Im Rahmen der gegen-
wärtigen Untersuchung werden wir nur soweit darauf eingehen,
dass wir darstellen, wie die Dinge betrachtet werden müssen,
um die Erscheinungen zu erklären, die wir hier thatsächlich vor
uns haben.
Ein Stück französischen Staatsgebietes wird durch den Prä-
liminarfrieden vom 26. Febr. 1871 an das Deutsche Reich ab-