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Auf Grund dieses Antrages wurde eine geheime Plenar-
sitzung des Reichstages anberaumt, deren Tagesordnung lautete:
„Berathung des Antrages der Abgeordneten Heine und
Genossen — No. 673 der Drucksachen — auf Zusammentritt
des Reichstages zu einer geheimen Sitzung. Gemässheit des
& 36 der Geschäftsordnung.“
In der darauf stattgehabten geheimen Plenarsitzung wurde
der Antrag No. 673 der Drucksachen angenommen, dagegen der
Antrag No. 664 der Drucksachen nach ausführlicher Berathung
in namentlicher Abstimmung abgelehnt.
Es war dies der erste Fall einer nichtöffentlichen Sitzung
des deutschen Reichstages; ein Vorgang findet sich in den Druck-
sachen nicht’. Eine prinzipielle Erörterung aber wird gerecht-
fertigt nicht bloss durch die spezielle Anwendung des 8 36 Gesch.-O,
des Reichstages, sondern auch durch das Bestehen jener Be-
stimmung überhaupt; es handelt sich um die Untersuchung der
beiden Fragen:
1. Sind geheime Sitzungen des Reichstages zulässig?
2. Welche Bedeutung kommt ihnen und insbesondere den
in ihnen gefassten Beschlüssen zu?
schlaf ausübt, wird mit Gefängniss bis zu einem Jahre oder mit Geld-
strafe bis zu eintausend Mark bestraft.“
* No. 673 der Drucksachen.
5 In der Tagespresse wurde mehrfach die Behauptung aufgestellt,
dass bereits im Jahre 1871 bei der Berathung der Vorlage wegen Ueber-
tragung des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund auf das Deutsche
Reich (bei einem von widernatürlicher Unzucht handelnden Paragraphen)
der Ausschluss der Oeffentlichkeit für erforderlich gehalten worden sei. —
Wenn das bedeuten spll, dass die Oeffentlichkeit damals ausgeschlossen
wurde, so ist das unzutreffend, wenigstens ergiebt es sich aus den Ma-
terialien des Reichstages nicht. Wenn damit die subjektive Ansicht ein-
zelner oder vieler Reichstagsmitglieder mitgetheilt sein soll, so lässt sich
solch interner Vorgang nicht feststellen, wie er im Uebrigen auch rechtlich
ganz irrelevant ist.