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Art. 28 R.-V. festgesetzte Quorum abzuändern unternähme’”
oder entgegen der Vorschrift des Art. 9 R.-V. das Erscheinen
bestimmter Mitglieder des Bundesrathes im Reichstage aus-
schlösse. Diese Konsequenz werden aber selbst die Gegner nicht
gezogen wissen wollen.
- Aus der Nichtigkeit des 8 36 Satz 2 a. a. O. folgt, dass
die auf. Grund dieser Bestimmung stattgehabten Verhandlungen
auch ihrerseits rechtsunwirksam sind. Sie enthalten keine „Reichs-
tagsberathungen“ oder „Reichstagsbeschlüsse*?® im staatsrecht-
lichen Sinne, vielmehr lediglich private Besprechungen von Reichs-
tagsmitgliedern ?°.
Damit ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Reichstag zu
einer Vereinigung von sämmtlichen Mitgliedern konstituirt?° und
als solche geheim verhandelt. Ein in dieser gefasster Beschluss
aber bedarf zu seiner Gültigkeit der Berathung und Abstimmung
2” Aehnlich v. SEYDEL, Der deutsche Reichstag a. a. O. S. 418. Ein
weiteres Beispiel, den Art. 9 a. a. O. betr., s. bei MÜLLER a. a. O.S. 8.
8 Nicht nur diese müssen öffentlich gefasst werden, sondern auch die
Berathungen müssen Öffentlich stattfinden. Denn die Verfassung bestimmt:
„Die Verhandlungen sind öffentlich.“ Die Verhandlung aber umfasst
die Debatte über einen Gegenstand einschliesslich der Abstimmung. So
Urtheil des Reichsgerichts vom 6. Nov. 1888 (Entsch. des Reichsgerichts in
Strafsachen Bd. XVIII S. 207 und Rechtsprechung des deutschen Reichs-
gerichts in Strafsachen Bd. X S. 627). Zu eng HiERsEMENZEL, Die Ver-
fassung des Norddeutschen Bundes (1868) S. 85, der mur die in geheimer
Schlussberathung gefassten Beschlüsse des Reichstags für ungültig hält.
Zu eng auch ArnpT, Verfassung des Deutschen Reiches (1895) S. 152, wenn
er nur für die entscheidende (!) Berathung und Abstimmung das Erforderniss
der Oeffentlichkeit festhält, ganz abgesehen davon, dass das Wort „ent-
scheidend“ ein Öbotepov fpötepov involvirt.
2% y, SEYDEL a. a. O. S. 418; Lasann a. a. O. Bd. I S. 3061; Zorn,
Das Staatsrecht des Deutschen Reiches (1895) Bd. IS. 244; derselbe, Die
Verfassungsurkunde des Deutschen Reiches (1895) S. 60; Binpmnse, Handbuch
des Strafrechts (1885) Bd. I S. 680; OLsHAuUsEn, Kommentar zum Straf-
gesetzbuch für das Deutsche Reich (1897) 8. 86.
8° Ebenso Artikel „GeheimeReichstagssitzungen“. „Frankfurter Zeitung“
vom 24. März 1900 (No. 82).