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in Abs. 2 der genannten beiden Paragraphen die Bestimmung
getroffen:
„Ausländer haben auf das Armenrecht nur soweit An-
spruch, als die Gegenseitigkeit verbürgt ist.“
Der Begriff der Gegenseitigkeit ist weder in $ 114 bezw.
8 106 noch auch an einer anderen Stelle der Civilprozessordnung
erläutert. Es läge nun nahe, denselben im Sinne des gewöhn-
lichen Sprachgebrauches aufzufassen, nach welchem „gegenseitig“
so viel als „auf die andere Seite gehörig, entgegengesetzt“ be-
deutet und wonach jenes Wort auch gewählt wird, um eine
zwischen beiden Seiten bestehende Wechselwirkung zum Ausdruck
zu bringen? In diesem letzteren Sinne besagt der Ausdruck
„Gegenseitigkeit“, wenn derselbe auf das Verhältniss zweier Staaten
in Bezug auf das Armenrecht angewendet wird, dass der eine Staat
das Armenrecht den Angehörigen des anderen Landes deshalb
bewilligt, weil in dem letzteren seinen eigenen Angehörigen die
gleiche Rechtswohlthat zu Theil wird.
Der hier gewonnene natürliche Begriff ist indessen ein zu
allgemeiner und entspricht dem Gesetze nicht; er erstreckt sich
auf eine zu grosse Reihe von Fällen; denn er umfasst, um hier
gleich die Grenzlinien zu bezeichnen, sowohl den Fall, dass der
fremde Staat bezüglich des Armenrechts den Ausländer dem
Einheimischen gleichstellt, als auch denjenigen, dass er dem Aus-
länder dieses Recht zwar gewährt, aber die verliehenen Befug-
nisse durch erschwerende Bestimmuugen erheblich einschränkt,
2. Bei Ermittlung des gesetzlichen Begriffs der Gegen-
seitigkeit kann davon ausgegangen werden, dass die Beschrän-
kungen, welche ein anderer Staat bezüglich des Armenrechts den
hat auf Bewilligung des Armenrechtes Anspruch, wenn die beabsichtigte
Rechtsverfolgung oder Rechtsvertheidigung nicht muthwillig oder aussichts-
los erscheint.“
2 Sanper’s Wörterbuch der deutschen Sprache Bd. II 8. 1072 und
Pıur, Deutsches Wörterbuch 8. 164.