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oder doch dem Deutschen die Beiordnung eines Rechtsanwalts
verweigern, während eine derartige Beiordnung für Einheimische
eine Wirkung des ertheilten Armenrechts ist. Ebenso kann ein
auswärtiger Staat die Bestimmung treffen, dass ein Deutscher
das Armenrechtsgesuch nicht wie der Inländer auch auf schrift-
lichem Wege bei dem von seinem Wohnsitze oder Aufenthalts-
orte vielleicht weit entfernten Prozessgerichte anbringen darf,
sondern dass derselbe seinen Antrag persönlich zu Protokoll der
Gerichtsschreiberei erklären muss. Ein Prozessgesetz, welches für
die Ausländer besondere Vorschriften erlässt, darf nicht bloss
die zur Zeit seiner Verkündung bestehenden Verhältnisse in’s Auge
fassen, sondern muss auch damit rechnen, dass die jeweilige
Gesetzgebung der Auslandsstaaten eine Aenderung erfahren kann.
Auch muss die Gesetzesauslegung diesen Gesichtspunkt in’s Auge
fassen. Mit Rücksicht hierauf ist anzunehmen, dass die für den
Begriff der Gegenseitigkeit zu erfordernde Gleichstellung nicht auf
die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eingeschränkt ist, sondern
alle Beziehungen umfasst®. Geringfügige Erschwerungen, wel-
che für den Deutschen einen besonderen Aufwand an Zeit oder
Kosten nicht verursachen, sind nicht weiter in Berücksichtigung
zu ziehen; der Maassstab der Relativität ist auch hier nicht zu
entbehren, gleichwie dies bei dem für die Vollstreckung aus-
ländischer Entscheidungen bestehenden Erfordernisse der ver-
bürgten Gegenseitigkeit der Fall ist?.,
Nach alledem ist die — von der Gegenseitigkeit gemäss
8 Mit gutem Grunde folgern Wırmowskı-Levy in ihrem Komn. zur
Civ.-Pr.-O. 7. Aufl. BdrI 8. 202, dass die Gegenseitigkeit nicht gegeben sei,
wenn der Deutsche hinsichtlich des Umfangs und der Bedingungen des Armen-
rechts im Auslande gegenüber den Einheimischen zurückgesetzt werde. Sie
hätten sich nur in noch umfassenderer Weise ausdrücken sollen.
® Kıem, Das Erforderniss der verbürgten Gegenseitigkeit bei Voll-
streckung ausländischer Urtheile in Deutschland in Bönm’s Zeitschrift für
internationales Privat- und Strafrecht Bd. 9 S. 226ff. (Auch im Separat-
abdruck erschienen, Leipzig, Duncker & Humblot, 1899 8. 23 ff.)