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nur der thronfolgeberechtigte Agnat zustimmt. Unter allen Umständen kann
daher einem Agnaten nur mit seiner Zustimmung sein Thronfolgerecht ent-
zogen werden. Die Argumente, die der Verf. für seine Ansicht ins Feld führt,
halten jedoch einer juristischen Prüfung nicht Stand. Hören wir dieselben.
Ausgehend von der, wie wir glaubten, doch schon längst überwundenen patri-
rnonialen Staatsauffassung stellt er an die Spitze seiner Beweisführung den
Satz, der König habe (!) den Staat nur, wie der Fideikommissinhaber das
Fideikommissgut (S. 23.) Das ist eine schon so oft widerlegte Ansicht, dass
wir nicht ohne Widerstreben darangehen, das neunundneunzigmal Gesagte zum
hundertstenmale zu wiederholen. Freilich giebt es Wahrheiten, die nicht
oft genug gesagt werden können, und zu diesen gehört die folgende: Das
Familienfideikommiss ist ein Vermögensobjekt, der Staat ein Herrschafts-
subjekt; der sogenannte Fideikommissbesitzer ist inhaltlich beschränkter
Eigentümer des Fideikommissgutes, der Monarch aber nicht Eigentümer,
sondern Organ des Staates; darum steht er nicht ausser oder über, sondern
in dem Staate. Dort ist das Rechtsverhältnis ein privates, hier ein öffent-
liches. Weil der Inhalt der Rechte des Fideikommissbesitzers und der der
Rechte des Monarchen grundverschieden ist, so ist es auch der Inhalt der
Rechte der Anwärter. Beim Fideikommiss geht die Anwartschaft auf das
beschränkte Eigentum, somit auf ein Privatrecht, bei der Thronfolge auf das
Recht zu der staatlichen Organschaft des Monarchen, demnach auf ein
öffentliches Recht. Dies fühlt der Verf. selbst, wenn er später sagt (S. 37);
„Staat und Volk sind kein Familiengut des fürstlichen Hauses, sie sind nicht
mehr sein privates Besitztum.“ Damit ist aber auch das zweite Argument
des Verf. widerlegt dass die Rechte der Agnaten auf die Krone ebenso wie
die des Königs selbst ausserbalb oder über der Gesetzgebung stehen (S. 27).
Dem Gesetze ist jedermann, auch das höchste Staatsorgan, unterworfen, so-
ferne nicht ausdrücklich eine Ausnahme festgesetzt ist. Diese Ausnahme
besteht nicht für die Agnaten, folglich finden die Gesetze auch auf sie An-
wendung. Auch ein weiteres nur für Preussen angeführtes Argument des
Verf. versagt die beabsichtigte Wirkung. So lesen wir nämlich auf S. 23,
dass die Rechte der Agnaten nach Art. 57 preuss. Verf.-Urk. nur dann ohne
deren Zustimmung ohne Hausgesetz durch eine Verfassungsänderung allein
tangiert werden können, wenn kein regierungsfähiger Agnat vorhanden sei.
Darauf ist folgendes zu erwidern: Erstens behandelt der citierte Artikel den
Fall, dass ein Thronfolgeberechtigter regierungsunfähig ist und dass gleich-
zeitig weder ein regierungsfähiger Agnat vorhanden, noch eine besondere
gesetzliche Fürsorge für diesen Fall getroffen ist. Art. 57 preuss. Verf.-Urk.
spricht von der Regentschaft, nicht von der Thronfolge, ist daher für unseren
Fall gar nicht anwendbar. Zweitens, tritt aber auch der im Art, 57 vor-
gesehene Fall ein, dann erfolgt die Bestellung des Regenten nicht, wie der
Verf. behauptet, durch ein Gesetz, sondern durch eine Wahl, die von den
beiden zu .einer gemeinsamen Versammlung vereinigten Kammern vor-