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Kommissar erscheinen, um die in Hamburg ausgebrochene Anarchie zu
brechen; endlich wird 1712 der Aufstand unterdrückt und Hamburg erhält
in dem Hauptrecesse von 1712 eine oligarchische Verfassung. Im Rat war das
aristokratische, in der erbgesessenen Bürgerschaft das plutokratische Element
vertreten, weitaus der grösste Teil der Bevölkerurg blieb unvertreten. Die
mehr als ein halbes Jahrhundert währenden politischen Unruhen erzeugten
nun eine kräftige Reaktion, die sich in einer vollständigen Gleichgültigkeit
gegen jede politische Frage äusserte. Diese Interesselosigkeit dauert bis
zum grossen Brande von 1842, Jetzt fängt man an, sich zunächst mit dem
Löschwesen zu beschäftigen, dann mit dem Bauwesen; diesen folgen dann alle
weiteren Zweige der Öffentlichen Verwaltung. Von der Verwaltung zur
Verfassung ist aber nur ein kleiner Schritt, und so sehen wir denn, wie
Mitte der vierziger Jahre das Interesse auch an politischen Fragen wieder
erwacht und im Laufe der Zeit immer weitere Kreise zieht. An der Hand
eines reichen Materiales zeigt der Verf., wie allmählich Vereine entstehen,
anfangs ohne, später mit politischer Tendenz. Von den letzteren sind es
drei, die für die weitere Verfassungsentwicklung in Hamburg von bestimmendem
Einfluss waren. Zunächst ist es die „patriotische Gesellschaft“, die einen
liberalen Ausbau der Verfassung fordert. In diesem politischen Vereine
treffen nun Bürger aus allen Berufsständen und aus allen sozialen Schichten
zusammen, in ihm werden nicht Sonder-, sondern Gemeininteressen be-
sprochen. Eine von dieser verschiedene Tendenz verfolgen die beiden
anderen Vereine. Es ist dies zunächst der Grundeigentümerverein, der
eine politische Sonderstellung der Hauseigentümer aus dem Titel der Sess-
haftigkeit und der sicheren Steuerkraft begehrt und damit den Typus einer
kapitalistischen Klassenvertretung bildet. Der dritte politische Verein, der
auf die Entwicklung der hamburgischen Verfassung mitbestimmend ein-
wirkte, war der Juristenverein, in dem naturgemäss die politischen Fragen
auch nach ihrer formalen und damit nach ihrer rechtlichen Seite ihre Be-
sprechung fanden. Im Juristenverein fand daher bewusst oder unbewusst
die Gesetzeskunde und die Gesetzestechnik ihre Vertretung. Diese drei
Vereine entfalteten nun eine so intensive politische Thätigkeit nicht gegen,
sondern neben einander, so dass bereits der Verfassungsentwurf der so-
genannten Neunerkommission von 1849 ein Wahlsystem vorschlägt, das auf
einer Kombination von Gemein- und Sonderinteressen beruht, die in den
drei genannten Vereinen ihren Ausdruck fanden. Nach dem Verfassungs-
entwurfe sollte nämlich die Bürgerschaft aus 160 Mitgliedern bestehen, von
denen 96 durch allgemeine Wahlen, 24 durch Wahlen der Grundeigentümer
und 40 durch solche von Richtern und Verwaltungsbeamten berufen werden
sollten. Damit wurden Organisation und Tendenz der drei massgebenden
politischen Vereine vorbildlich für die Bildung der drei Klassen zur Wahl
der Hamburgischen Bürgerschaft. An diesem Prinzipe wurde seither fest-
gehalten, wenn auch in dem Zahlenverhältnisse der einzelnen Gruppen unter