Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfzehnter Band. (15)

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einander im Laufe der Zeit manche Aenderung eintrat; es liegt zu Grunde 
sowohl der Verfassung vom 23. Mai 1850, als auch den Entwürfen von 
1855 und 1856, ferner der Verfassung von 1860, weiter den Entwürfen von 
1868 und 1872, endlich der noch jetzt geltenden Verfassung vom 13. Oktober 
1879. — Damit ist der erste Teil des Buches beendet; in dem zweiten, 
kurz gefassten, Abschnitte (S. 179—222) giebt der Verf. Ratschläge de lege 
ferenda. Schon das Motto, das dieser Abteilung vorgesetzt ist, zeigt ihre 
Tendenz: „Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen!“ Der Verf. will 
das System des kumulativen Wahlrechts beibehalten, wenigstens vorderhand, 
aber er will eine Aenderung des Zahlenverhältnisses und eine neue Gruppen- 
bildung der mehrfach Wahlberechtigten. Er schlägt vor, die Zahl der Ab- 
geordneten auf 120 herabzusetzen, und, ein Gegner des allgemeinen, gleichen 
Wahlrechts, willer durch dieses bloss 30 Abgeordnete berufen. Der Rest von 
Abgeordnetensitzen soll unter folgende Gruppen nach Massgabe der letzten 
Berufszählung aufgeteilt werden: Kaufleute 25, Handwerker 1ö, Industrielle 10, 
Detaillisten 15, Gelehrte 5, Arbeiter 10, Grundeigentümer 6, Richter 2 und 
Lehrer 2. Einteilungsgrund ist hiebei der Berufsstand. Streng genommen 
sollten dabei die Grundeigentümer ausfallen; denn das Grundeigentum ist 
kein Beruf. Das fühlt der Verf. selbst. Ein bitterböser Hasser des all- 
gemeinen Wahlrechts, ist er ein zartliebender Verehrer der Hamburger 
mehrfach verstockten Hausherren. Und so findet er denn auch einen 
originellen, wenn auch nicht so ganz plausiblen Grund, ihnen 6 Abgeordneten- 
sitze zu reservieren. Auch die Hamburger Hausherren werden staunen, wenn 
sie hören, dass sie desshalb eine besondere Wahlklasse bilden sollen, „weil 
auf ihren Schultern die sorgenvolle Aufgabe ruhe, für mehr als eine halbe 
Million Menschen mietweise ein Obdach zu beschaffen“ (S. 209)! Wo die 
Politik beginnt, dort hört die Objektivität auf. Darum wollen wir die 
Zweckmässigkeit der Vorschläge des Verf. nicht näher prüfen; auch des- 
wegen nicht, um nicht den trefflichen Eindruck zu verwischen, den der ge- 
schichtliche Teil des Buches in jedem Leser hervorruft. Es bleibt das 
Verdienst des Verf., auf Grund eines ausserordentlich fleissigen Quellen- 
studiums nachgewiesen zu haben, wie gross die Wirkung politischer Vereine 
auf die Gestaltung eines Wahlsystems sein kann. Seiner Gründlichkeit, 
seinem Fleiss und seinem historischen Blick gebührt derum volle Aner- 
kennung. 
Strassburg i. E. Max Kulisch. 
Wahrmund, Das Kirchenpatronatrecht. 2. Schluss-Abtheilung. Wien, 
Hölder, 1896. XI u. 8278. M. 6.—. 
Mit der vorliegenden zweiten Abtheilung ist das verdienstvolle Werk 
zum Abschluss gelangt. Während die erste Abtheilung sich mit der kirch- 
lichen Rechtsentwickelung beschäftigte (se. Archiv Bd. XI $S. 296), wird hier 
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