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Ganzen. Mit diesem Vorbehalt kann es gesagt werden, dass das Handbuch
des Völkerrechts für sich und für seine Verlagsanstalt (vormals J. F. Richter
in Hamburg) ein besseres Schicksal verdient hätte, als ihm wirklich geworden.
Die „fata libelli* sind nicht immer bloss durch das Schicksal ihrer Autoren
bestimmt, es laufen auch noch ganz andere Fäden in’s Gewebe. Gewiss war es
nicht mehr der jugendfrische, thatkräftige Franz v. HOLTZENDORFF, der hier
den Platz auf der Kommandobrücke einnahm; er war nicht mehr im Stande,
die verschiedenartigen Arbeitskräfte an den gemeinsamen Grundplan zu bin-
den, wie er es mit so gutem Erfolge bei seinen ersten grossen Sammel-
werken gethan. Die stolzen Hoffnungen, die v. H. auf die Praktiker des diplo-
matischen Dienstes gesetzt hatte, auf DAmBACcH, GEFFCKEN, (GESSNER, CARATHEO-
DORY, RıviER wurden nur zum Theil erfüllt; seine Einleitung wurde zu gross,
die litterarhistorische Uebersicht im ersten Bande zu klein und kann besten-
falls der Aufgabe genügen, die der Franzose einem catalogue raisonne zu-
weist. Auch die Nachwirkung des deutsch-französischen Krieges kann nicht
als Rechtfertigung dafür dienen, dass die Darstellung des Kriegsrechts einen
so erdrückenden Umfang angenommen und dadurch wesentlich mit dazu bei-
trug, dem Gesammtwerke grössere Beweglichkeit, eine nähere Fühlung mit
der juristischen Praxis zu nehmen. v. HOLTZENDORFF war zu schwach ge-
worden, um dem einen Mitarbeiter „Halt!“ und dem andern „Vorwärts!“
zuzurufen. Gleichwohl kann nicht geleugnet werden, dass im Handbuch ein
enormer, seit HEFFTER nicht bearbeiteter Rechtsstoff in einen planmässigen
Zusammenhang, vielfach sogar in dogmatische Detailarbeit genommen worden
ist. LamMmascH hat seiner Zeit in der Krit. Vierteljahresschrift (Neue Folge
Bd. XV S. 128 fi.) den nationalen Werth dieses Werkes betont und mit
Rücksicht auf die bei diplomatischen Differenzen übliche Anführung von Aus-
sprüchen der Völkerrechtslebrer die Veranstaltung einer französischen Ueber-
setzung des Gesammtwerkes oder ihrer praktisch wichtigeren Abhandlungen
verlangt. Der Gedanke hat in der That grosse Tragweite, wenn wir den
Antheil in Betracht ziehen, den all die zahlreichen Schiedsprüche und diplo-
matischen Verhandlungen unserer Zeit den Citaten und „Quellenzeugnissen“
aus Cauvo’s vierbändigem Droit international einräumen, obwohl eine nur
flüchtige Stichprobe an zahllosen Stellen den Beweis dafür zu erbringen ver-
mag, dass CaLvo’s Arbeit sowohl in der Gründlichkeit des verwertheten
Quellenmaterials, wie an Objektivität des geschichtlichen Urtheils über zeit-
genössische Ereignisse weit hinter dem im v. HoLTzennorrF'schen Handbuch
des Völkerrechts Gebotenen zurücksteht. Trotz alledem nimmt die Ver-
breitung des Carvo’schen Werkes dank dem Vortheil der Sprache immer
mehr zu, während das deutsche Handbuch von seiner opferwilligen Verlags-
firma auf’s Konto der „Immobilien“ gesetzt werden muss ... Von diesem
litterargeschichtlichen Hintergrund hebt sich der Werth und die funk-
tionelle Kraft der beiden im Titel verzeichneten neuen deutschen Völker-
rechtswerke ab. ULLmann sowohl wie v. Liszt stehen auf dem vom