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gesetzgebung im kontinentalen Europa, nach englischem Vorbilde
zuerst in Frankreich 1791, beweist dies zur Genüge. Durch zu
frühzeitige Zulassung von gewerblichen Ausschlussrechten kann
eine sich erst entwickelnde Industrie mehr gehemmt als gefördert
werden. Einen jungen Baum lässt man wachsen, bevor man die
Entfaltung seiner Kraft, das Emporstreben seiner Säfte durch
Beschneiden seiner Aeste reizt. Sollte man aber auch meinen,
dass in diesem oder jenem unserer jungen Schutzgebiete an sich
die Vorbedingungen der Kultur für die Gewährung von Aus-
schlussrechten vorhanden seien, so würde es immer noch fraglich
bleiben, ob diese Gewährungen dem Mutterlande und der Kolonie
zum Segen gereichen würden. Beachtenswerth ist in dieser Hin-
sicht jedenfalls die Thatsache, dass weder die englischen Kanal-
inseln, noch auch Gibraltar? ein Patentrecht kennen. Man darf
dem gegenüber auch nicht etwa geltend machen, dass die eng-
lischen Kolonien in diesem Punkte eine eigene Gesetzgebung
haben. Denn wenn das englische Mutterland etwas durchzusetzen
Willens ist, so pflegt sich die koloniale Gesetzgebung zu akkom-
modiren. Dass aber seine Kolonien England „am Herzen“ liegen,
wird wohl nicht bestritten werden.
Die hier vertretene Auffassung, an sich juristisch zulässig,
gewährt also wirthschaftspolitisch gegenüber unseren Kolonien
freie Hand. Es kommt aber hinzu, dass sie das deutsche Patent-
wesen von Schwierigkeiten in der Praxis befreit, welche sich bei
der Vertretung der Anschauung SELIGSOHN’s in hohem Maasse
ergeben. Folgt man dem Letzteren, so würde eine nur einmal
auf den Marschallsinseln oder in Togo vor Jahren stattgehabte
offenkundige Benutzung einer in Deutschland patentirten Erfindung
genügen, um dieses Patent, für dessen Ausbeutung in Berlin oder
Hamburg vielleicht eine prosperirende Gesellschaft gebildet ist,
zu vernichten. Für das deutsche Patentamt würde unter Um-
8% Recueil general de la legislation et des traites concernant la pro-
priete industrielle. Tome I p. 351, 575. Bern 1896/98.