Full text: Archiv für öffentliches Recht.Sechzehnter Band. (16)

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Aber auf diese völkerrechtliche Seite der Angelegenheit soll 
hier nicht eingegangen werden; ich will ihre Erörterung vielmehr 
den Völkerrechtslehrern überlassen und hier nur soviel andeuten, 
dass, wenn man einen „Krieg“ nicht annehmen zu dürfen glaubt 
(etwa weil sich die Operation der Mächte nicht sowohl gegen die 
chinesische Regierung wie gegen die Boxer richtet), eine „be- 
waffnete Intervention“ (Strafexpedition) vorliegen würde. Diese 
Auffassung klingt auch neuestens in der Denkschrift zu der 
dem Reichstag unterbreiteten Kostenvorlage durch '*. Aber selbst- 
verständlich ist diese Auffassung der Denkschrift ebensowenig 
massgebend wie die gegenteilige Auffassung des Publikums, das 
wohl grösstenteils einen Krieg!® als vorhanden ansehen und sich 
über die Möglichkeit von Zweifeln wundern wird. Und auch die 
Auffassung der militärischen Kreise bis hinauf zum obersten 
Kriegsherrn !* kann für die Deutung des Reichsmilitärgesetzes 
nicht entscheidend sein; hier würde es vielmehr einer authen- 
tischen Interpretation des Gesetzgebers — Reichstag und Bundes- 
rat — selber bedürfen. 
Nehmen wir also einmal die für unsere weitere Untersuch- 
ung ungünstigste Antwort als zweifellos richtig an, dass nämlich 
14 Auch der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat in der Sitzung 
der Budgetkommission bei Beratung der Chinavorlage am 4. Dez. 1900 
erklärt, die Expedition sei als bewaffnetes Einschreiten gegen anarchistische 
Zustände aufzufassen. 
15 Eine förmliche Kriegserklärung ist (Rıvıer a. a. O. S. 368f.) nicht 
notwendig, wohl aber seitens des angreifenden Teils — als den wir die ver- 
bündeten Mächte betrachten wollen — der Wille, den Kriegszustand ein- 
treten zu lassen, der etwa durch die Mobilmachung dokumentiert wird. 
1 Die Kaiserliche Verordnung vom 15. Juli 1900 (Armee-Ver- 
ordnungsblatt 1900 No. 22 S. 359) sagt: „l. Das ostasiatische Expeditions- 
korps ist vom Tage des Verlassens der einheimischen Gewässer als mobiler 
Truppenverband anzusehen; 2. Meine beiliegenden Verordnungen über die 
Strafrechtspflege bei dem Heere in Kriegszeiten vom 21. Dez. 1899 und 
über die Ausübung der Strafgerichtsbarkeit gegen Kriegsgefangene 
gelten von dem in Meiner Verordnung vom heutigen Tage bezeichneten 
Zeitpunkt an.“
	        
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