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meine Geist aber, der durchaus etwas anderes ist, als die Summe aller ein-
zelnen Geister, „ist die generellen Gebote einerseits, die allgemeinen Gefühle,
Begehrungen und Bestrebungen andererseits“. Mit der ersten Form des
allgemeinen Geistes haben es die normativen Wissenschaften, Rechtswissen-
schaft, Ethik, Logik, Aesthetik zu thun, mit seiner zweiten Form die Ge-
sellschaftswissenschaften. Die Rechtswissenschaft behandelt das Zusammen-
leben und die Beziehungen der Menschen, soweit sie durch Zwecke reguliert
werden, während die Untersuchung der psychischen Wechselwirkung zwischen
den Menschen der Sozialwissenschaft zuzuweisen ist. Insbesondere das
Staatsrecht hat nur die staatlichen Formen, Regeln und Aufgaben zu
untersuchen. Das Staatsrecht hat sich ganz unnötigerweise bemüht, das
Wesen des Staates zu ergründen. Das ist aber ein vergebliches Bemühen,
denn wissenschaftliche Begriffe können nur aus homogenen Elementen ge-
bildet werden. „Staat“ aber ist eine viel zu komplizierte Vorstellung, als dass
man sie in einem Begriffe zusammenfassen könnte. Denn sachlich ist Staat
und Gesellschaft dasselbe; Aufgabe der Wissenschaft aber ist es, begrifflich
die verschiedenen Seiten dieser Realität zu erfassen. „Die Erkenntnis der
rechtlichen Bedeutung und der gesellschaftlichen Natur des Staates bilden
zwei vollständig unvereinbare Wissenszweige.“
Denn für eine besondere Gesellschaftswissenschaft, die, wie die Kosmo-
logie, Biologie und Geologie die Weltkörper, die Erdkruste, die Pflanzen-
und Tierarten untersuchen, die „Gesetze“, die für die Gesellschaft gelten,
feststellt, will der Verfasser Raum schaffen. Dabei sind die ökonomischen
Verhältnisse und die industriell-technische Entwicklung für sich als Inhalt
des sozialen Prozesses zu betrachten, die Formen untersuchen in ihrem
stationären Zustand Rechtswissenschaft, Sittenlehre und Ethik, in ihrem
Werden Rechts-, Kultur- und Moralgeschichte. Was für die Gesellschafts-
wissenschaft dann noch übrig bleibt, ist mir nicht recht klar. Der Verfasser
meint, sie habe zum Gegenstand die Menschen selbst und die Wechsel-
wirkung zwischen ihnen. Sie hat die Aufgabe, durch Beobachtung und
Analyse der verschiedensten sozialen Erscheinungen, wie der Ueber- und
Unterordnung, der sozialen Differenzierungsprozesse und des Parteiwesens,
des Selbsterhaltungstriebes der sozialen Gruppen u. s. f., die Gesetze der
Assimilations- und Repulsionsvorgänge, durch die die Gesellschaft entsteht,
festzustellen. Indes bleibt es doch fraglich, ob sich solche „Gesetze“ finden
lassen. Der Verfasser selbst weist darauf hin, dass der Ausdruck Gesetz
doppelsinnig ist, indem er einmal die allgemeinen, die ohne Beziehung auf
die Zeit gelten, die mechanischen, chemischen, physischen, bezeichnet, zwei-
tens aber auch die kosmologischen, biologischen und geologischen, die mehr
auf bestimmten Kombinationen der eigentlichen Gesetze beruhen. Nur in
diesem Sinne gebe es auch soziale Gesetze, die freilich noch zu erforschen
sind. Dabei weist er den Ausdruck „historische Gesetze* zurück, denn jedes
geschichtliche Ereignis sei individuell, während bei Gesetzen es sich um
Archiv für öffentliches Recht. XVI. 1. 10