Full text: Archiv für öffentliches Recht.Sechzehnter Band. (16)

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meine Geist aber, der durchaus etwas anderes ist, als die Summe aller ein- 
zelnen Geister, „ist die generellen Gebote einerseits, die allgemeinen Gefühle, 
Begehrungen und Bestrebungen andererseits“. Mit der ersten Form des 
allgemeinen Geistes haben es die normativen Wissenschaften, Rechtswissen- 
schaft, Ethik, Logik, Aesthetik zu thun, mit seiner zweiten Form die Ge- 
sellschaftswissenschaften. Die Rechtswissenschaft behandelt das Zusammen- 
leben und die Beziehungen der Menschen, soweit sie durch Zwecke reguliert 
werden, während die Untersuchung der psychischen Wechselwirkung zwischen 
den Menschen der Sozialwissenschaft zuzuweisen ist. Insbesondere das 
Staatsrecht hat nur die staatlichen Formen, Regeln und Aufgaben zu 
untersuchen. Das Staatsrecht hat sich ganz unnötigerweise bemüht, das 
Wesen des Staates zu ergründen. Das ist aber ein vergebliches Bemühen, 
denn wissenschaftliche Begriffe können nur aus homogenen Elementen ge- 
bildet werden. „Staat“ aber ist eine viel zu komplizierte Vorstellung, als dass 
man sie in einem Begriffe zusammenfassen könnte. Denn sachlich ist Staat 
und Gesellschaft dasselbe; Aufgabe der Wissenschaft aber ist es, begrifflich 
die verschiedenen Seiten dieser Realität zu erfassen. „Die Erkenntnis der 
rechtlichen Bedeutung und der gesellschaftlichen Natur des Staates bilden 
zwei vollständig unvereinbare Wissenszweige.“ 
Denn für eine besondere Gesellschaftswissenschaft, die, wie die Kosmo- 
logie, Biologie und Geologie die Weltkörper, die Erdkruste, die Pflanzen- 
und Tierarten untersuchen, die „Gesetze“, die für die Gesellschaft gelten, 
feststellt, will der Verfasser Raum schaffen. Dabei sind die ökonomischen 
Verhältnisse und die industriell-technische Entwicklung für sich als Inhalt 
des sozialen Prozesses zu betrachten, die Formen untersuchen in ihrem 
stationären Zustand Rechtswissenschaft, Sittenlehre und Ethik, in ihrem 
Werden Rechts-, Kultur- und Moralgeschichte. Was für die Gesellschafts- 
wissenschaft dann noch übrig bleibt, ist mir nicht recht klar. Der Verfasser 
meint, sie habe zum Gegenstand die Menschen selbst und die Wechsel- 
wirkung zwischen ihnen. Sie hat die Aufgabe, durch Beobachtung und 
Analyse der verschiedensten sozialen Erscheinungen, wie der Ueber- und 
Unterordnung, der sozialen Differenzierungsprozesse und des Parteiwesens, 
des Selbsterhaltungstriebes der sozialen Gruppen u. s. f., die Gesetze der 
Assimilations- und Repulsionsvorgänge, durch die die Gesellschaft entsteht, 
festzustellen. Indes bleibt es doch fraglich, ob sich solche „Gesetze“ finden 
lassen. Der Verfasser selbst weist darauf hin, dass der Ausdruck Gesetz 
doppelsinnig ist, indem er einmal die allgemeinen, die ohne Beziehung auf 
die Zeit gelten, die mechanischen, chemischen, physischen, bezeichnet, zwei- 
tens aber auch die kosmologischen, biologischen und geologischen, die mehr 
auf bestimmten Kombinationen der eigentlichen Gesetze beruhen. Nur in 
diesem Sinne gebe es auch soziale Gesetze, die freilich noch zu erforschen 
sind. Dabei weist er den Ausdruck „historische Gesetze* zurück, denn jedes 
geschichtliche Ereignis sei individuell, während bei Gesetzen es sich um 
Archiv für öffentliches Recht. XVI. 1. 10
	        
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