Full text: Archiv für öffentliches Recht.Sechzehnter Band. (16)

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seiner Theorien sind die Verneinung dieser Ansicht. Denn der richtige 
Kern des „historischen Materialismus“ besteht in der leitenden Maxime, 
unterhalb aller Mannigfaltigkeit der Kulturentwicklung einen gleichartigen 
sozialen Lebensprozess zu entdecken, der wesentlich durch die elementaren 
menschlichen Bedürfnisse bedingt ist, der gleich der geologischen Ent- 
wicklung seinen gesetzmässigen Gang durch „causes now at work“ vollzieht. 
Es ist ein ungenügender Einwand (der die bekannte Schrift STAMMLER’s 
durchzieht), dass der wirthschaftliche Prozess nur in den Formen des Rechts 
und anderer „äuserer Regelung“ möglich sei. Sicherlich ist dem so. Aber 
einmal sind die Ursprünge dieser Regelungen eines der Probleme — und 
die Lösung ist, dass aus der Erfahrung des Thatsächlichen — des de facto — 
das soziale Wollen — des de jure — entspringt und sich langsam davon 
unterscheidet. Sodann geht die These eben dahin: wo immer soziale Ent- 
wicklung stattfindet, da ist die.Entwicklung der mit und wider einander 
strebenden Einzelwillen das primäre Geschehen, die Entwicklung des 
für diese als gültig sich setzenden sozialen Wollens, also des Rechtes, das 
sekundäre. Eine vollkommene Kongruenz der beiden Sphären ist eine 
Idee, die kein Gegenbild in irgend welcher Erfahrung haben kaun; aber 
seinem wesentlichen Gehalte nach stellt das Recht ebensowohl Schutzwehren 
wie Schranken der Einzelwillen dar, die es zugleich zusammenhalten und 
auseinanderhalten will. Die Schutzwehren für die einen sind Schranken für 
die anderen; gegen die Schranken tobt immer, was vorwärts drängt. Je 
mächtiger daher ein Knäuel von Interessen wird, desto mehr wird es die 
Schranken des bis dahin gültigen Rechtes zu durchbrechen streben. Und 
wie das Recht, so die herrschenden Anschauungen, zumal moralische, religiöse, 
darum aber auch die gesammte Weltanschauung. Der Grundirrthum Lorı4’s 
ist aber, dass Recht und Gemeinbewusstsein, so lange es eine Kultur giebt, 
immer an einer kleinen Herrenklasse (die er unterschiedslos als Kapitalisten 
definirt) getragen, ausgeprägt oder doch gestempelt werde. Er weiss und 
kennt nichts von den kommunistischen, oder, wie ich sage, gemeinschaftlichen 
Elementen, die immer in Gewohnheitsrechten, wie im Volksglauben enthalten 
sind. Für mich besteht der ganze historische Prozess wesentlich darin, dass 
diese Elemente einerseits entwickelt, andererseits zersetzt werden. LoRriA’s 
Ansicht ist, wie ich früher gesagt habe, ein Rückfall „auf den Standpunkt 
der vulgären Aufklärung, die Religion aus Priestertrug, Recht aus Tyrannen- 
willkür generell ableitet“ (Archiv für system. Philos. II, 4 S. 514). Auch 
wiederhole ich hier, dass die Verkehrtheit des Buches abnimmt, je weiter 
es fortschreitet. Die Einteilung ist sehr einfach. In den 3 Kapiteln werden 
successive die wirthschaftlichen Grundlagen der Moral, des Rechtes und der 
politischen Macht vorgestellt. Für den besten Abschnitt, der freilich auch 
den leichtesten Gegenstand hat, halte ich den 2. Paragraphen des 3. Kapitels 
über „Die Zweitheilung des Einkommens und der politischen Macht“. 
F. Tönnies.
	        
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