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Grundsatz; denn der Patriotismus findet selten seine Befriedigung in streng
wissenschaftlichen juristischen Untersuchungen, und diese werden wieder
ihrerseits nicht gefördert durch patriotische Reden. Rechtswissenschaft und
Politik sollen fein säuberlich auseinandergehalten werden; denn sonst wird
ein verschwommenes Bild geboten, in dem in der Regel die juristische Dar-
stellung, die Klarheit, Unbefangenheit und rücksichtslosen Freimuth verlangt,
zu kurz kommt,
Nur der Vermengung von juristischer und politischer Betrachtungs-
weise ist es zuzuschreiben, wenn GEFFCKEN im Deutschen Reiche eine Olig-
archie sieht (8. 17), Für den Juristen kann die Verfassungsform eines
Staates nur entweder monarchisch oder republikanisch sein, je nachdem die
Sanktion der Gesetze durch Einen allein oder durch ein Kollegium erfolgt.
Juristisch betrachtet ist das Deutsche Reich eine Republik.
Wenn GerFFCcKEN auf S. 46 vom „Erben“ des preussischen Thrones
spricht, wenn er auf S. 72 lehrt „die Wahl des Deutschen Reichstages sei
ein Herrscher-, ein Regierungsakt der die Körperschaft der Reichsbürger
bildenden Wahlberechtigten“, wenn er weiter auf S. 45 sagt „des Kaisers
Gewalt sei von keiner menschlichen Macht, sondern allein von Gottes
Gnaden abhängig“, so mag an diesen Worten vielleicht das patriotische
Herz seine Freude finden; der juristische Verstand vermag dies nicht.
Die Aufgabe der Kritik ist vorwiegend eine negative; sie soll die
Mängel aufdecken. Es wäre aber unbillig, wollte ich schliessen ohne ein
Wort der Anerkennung. GEFFCKEN hat es verstanden, den gewaltigen Stoff
auf einem engen Raum in geradezu vollendeter Darstellung dem Leser vor
Augen zu führen, dabei seinen Standpunkt stets kräftig betonend. Wenn
er dann manchmal daneben haut, thut er dies freilich auch kräftig.
Innsbruck. Max Kulisch.
W. Kaufmann, Die Rechtskraft des internationalen Rechts und das Ver-
hältniss der Staatsgesetzgebungen und der Staatsorgane zu demselben.
Stuttgart, Ferd. Enke, 1899. VIII u. 126 S. gr. 8°. M. 4.—.
Ein gehaltvolles, aber darum auch recht schweres Buch. Es geht auf's
Ziel los, den Nachweis zu liefern, dass die internationale Gemeinschaft die
Quelle ist für die rechtsverbindliche Kraft des internationalen Rechts. Das
ist schon oft und vielleicht auch schon in fasslicherer Darstellung gesagt und
bewiesen worden. KAUFMANN geht über diese, wenn ich so sagen darf,
Errungenschaftsgemeinschaft der bisherigen Dogmatik hinaus und stellt den
Ausbau der These her durch den Gedanken, dass nicht bloss Staaten
heute in berechtigenden und verpflichtenden wechselseitigen Beziehungen
stehen, sondern „die internationalen objektiven Rechtsordnungen regeln auch
Rechte und Pflichten der verschiedenen Staaten unterthanen Individuen zu