Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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Strafausmessung die unausbleibliche Folge sein. 
Umgekehrt aber wäre es vielleicht ein noch größerer 
Fehler des Gesetzes, wenn dem Richter in der Ab- 
messung der Strafe für die einzelnen Fälle keinerlei 
Spielraum belassen würde, mit andern Worten, 
wenn für einen bestimmten Tatbestand eine „ab- 
solut bestimmte“ Strafe angedroht würde. Die 
Straffälle sind je nach der Verschuldung und den 
mannigfachen die Tat begleitenden Umständen so 
außerordentlich verschieden, daß jede verbrecherische 
Tat für sich besonders beurteilt werden muß. 
Deswegen sind nur die relativ bestimmten Straf- 
androhungen zu billigen, welche zwischen einem 
Höchst= und einem Mindestmaß der angedrohten 
Strafe dem Richter die Möglichkeit belassen, je 
nach der Individualität des Falls die Strafe zu 
bemessen. Dabei ist von vornherein festzuhalten, 
daß der Gesetzgeber aus kriminal-politischen 
Gründen der Nützlichkeit seine Strafandrohungen 
einrichten darf, ja wohl einrichten soll, daß da- 
gegen die Tätigkeit des Richters eine kriminal- 
rechtliche ist, d. h. daß er seine Erwägungen 
für die Ausmessung der Strafe nicht nach Nützlich- 
keitsprinzipien, sondern lediglich nach Umständen, 
die mit dem Verbrechen selbst zusammenhängen, 
anstellen darf. Im allgemeinen richtet sich die 
Strafwürdigkeit nach der Verschuldung; die größere 
oder geringere Uberlegung, die Verderbtheit des 
Täters und andere subjektive Momente werden 
daher bei der Strafausmessung stets das Über- 
gewicht über den objektiven Erwägungsgründen, 
die aus der Größe des angerichteten Ubels u. a. 
zu entnehmen sind, behalten. Im allgemeinen 
läßt das Strafgesetzbuch dem Richter eine an- 
gemessene Freiheit in all diesen Richtungen. Nur 
in ganz bestimmten Fällen schreibt es ihm vor, 
bei gewissen Umständen eine höhere Strafart oder 
höhere Strafe, als gewöhnlich für den Fall an- 
gedroht ist, anzuwenden oder auch eine mildere. 
Als ein Strafschärfungsgrund erscheint sehr häufig 
der Rückfall, die Gewerbsmäßigkeit und Ge- 
wohnheitsmäßigkeit einer Handlung. Als Straf- 
milderungsgrund ist jugendliches Alter (zwischen 
12 und 18 Jahren) ganz besonders ausgezeichnet. 
Daneben erteilt das Strafgesetzbuch in vielen 
Fällen dem Richter die Ermächtigung, auf eine 
geringere Strafe oder sogar Strafart zu erkennen, 
als für den Regelfall angedroht ist, sofern sich 
„mildernde Umstände“ ergeben, ohne indes zu 
bestimmen, worin diese letzteren zu erblicken sind. 
Das System der mildernden Umstände entstammt 
dem französischen Strafrecht und hat nach und 
nach in Deutschland, namentlich unter den Prak- 
tikern, Anklang gefunden. 
Abgesehen von den oben angegebenen Fällen, 
in denen eine Strafe nicht eintritt, weil eine Rechts- 
widrigkeit der Handlung nicht angenommen wird, 
trotzdem eine an sich strafbare Handlung vorliegt, 
kennt das Gesetz auch noch Fälle, in denen zwar 
begangenes Verbrechen vorliegt, die Anwendung 
des Strafgesetzes aber dennoch unterbleiben soll. 
  
Strafrecht. 
  
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Es sind dies die Fälle der Verjährung, der Be- 
gnadigung und der Verzeihung der durch eine 
Straftat verletzten Privatperson. Während be- 
züglich der Begnadigung auf den betreffenden 
Spezialartikel zu verweisen ist, mag wegen der 
Verjährung bemerkt werden, daß sowohl eine Ver- 
jährung der Strafverfolgung als der Vollstreckung 
einer erkannten Strafe eintreten kann. Die Ver- 
jährungsfrist ist in beiden Fällen je nach der Höhe 
der angedrohten bzw. der zuerkannten Strafe ver- 
schieden lang bemessen. Die Verzeihung hat nur 
Einfluß bei den sog. Antragsdelikten, d. h. den- 
jenigen Delikten, welche nur dann verfolgt werden, 
wenn der Verletzte oder sein Vertreter den Antrag 
auf Verfolgung stellt. Bleibt der Antrag eine 
gewisse, kurz bemessene Frist aus, so darf an- 
genommen werden, daß Verzeihung eingetreten 
ist, und die Strafverfolgung ist fernerhin aus- 
geschlossen. Ist der Antrag einmal gestellt, so ist 
die nachträgliche Verzeihung in der Regel auf den 
Fortgang des Verfahrens ohne Einfluß, da unser 
Recht die Zurücknahme des Strafantrags nur in 
besonders namhaft gemachten Fällen zuläßt. 
III. Strafrechtsreformen. Der Umstand, 
daß unter der Herrschaft des bestehenden Straf- 
gesetzbuchs die Kriminalität in Deutschland sowohl 
absolut als auch prozentual gewachsen ist, mehr 
noch aber Lückenhaftigkeit und Mängel des gelten- 
den Rechts technischer wie vor allem sachlicher Art 
haben schon seit längerer Zeit die Forderung nach 
einer Revision unseres Strafrechts laut werden 
lassen. Einzelne Mängel sind schon im vorstehen- 
den angedeutet worden; auf andere kann nur ganz 
vereinzelt und allgemein hingewiesen werden unter 
Hervorhebung der sich anschließenden Hauptpro- 
bleme der angestrebten Revision. 
Im Mittelpunkt des gesamten Strafrechts steht 
die Zurechnungsfähigkeit; sie nimmt daher auch 
als Gesetzgebungsfrage das Hauptinteresse in An- 
spruch, und an sie knüpfen eine Reihe von Vor- 
schlägen an. In der Hauptsache laufen dieselben 
darauf hinaus, in den Fällen geistiger Minder- 
wertigkeit eine verminderte Zurechnungsfähigkeit 
anzunehmen, oder, wie manche richtiger sich aus- 
drücken, eine geminderte Zurechnung anzunehmen. 
Während für solche Minderwertige einige mildere 
Strafe befürworten, wollen andere eine abweichende 
Behandlung eintreten lassen. Dabei wird die 
Forderung aufgestellt, daß behufs Vermeidung 
von Unklarheiten diese Fälle genereller Schuld- 
milderung infolge von abnormen physischen Zu- 
ständen soweit als möglich im Gesetz aufgeführt 
würden (z. B. Epilepsie, Hysterie, Morphinismus, 
Alkoholismus). 
Auf diese Weise glaubt man zugleich das bis- 
herige System der mildernden Umstände zu er- 
setzen durch spezielle Strafmilderungsgründe. Es 
ist nicht zu bestreiten, daß bei den alten harten 
Strafandrohungen jenes System günstig gewirkt 
hat; aber seine Reformbedürftigkeit erscheint außer 
Zweifel gestellt. Die gänzliche Unbestimmtheit 
11“ 
 
	        
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